#einmaldieabrechnungbitte.

Bildquelle: Lisa C. Waldherr

Schreibblogade.

So ihr Lieben, ich würde sagen, es ist allerhöchste Zeit für mich, mal wieder aus meiner Versenkung aufzutauchen und mich hier mal wieder blicken zu lassen. 2022 war das Jahr der Blogade. Und es war nicht nur das Jahr des Tanzes, sondern eher des Raves zwischen den Polen. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich je so viele und teilweise schnelle Wechsel zwischen hypomanen, depressiven und gesunden Phasen hatte seit der Diagnose. Parallel dazu oder zwangsläufig als Teil, Auslöser oder Folge davon gab es so viele Ereignisse, leider auch viele unschöne, mit deren Verarbeitung ich bis jetzt noch nicht hinterhergekommen bin. Vermutlich hätte es manchmal geholfen, hier direkt darüber zu schreiben und zu berichten, aber es gelang mir leider größtenteils weder in den depressiven noch in den hypomanen Phasen, meine Gedanken und Gefühle zu Papier geschweige denn auf den Bildschirm zu bringen, da mir im Tief der Antrieb und die Konzentration fehlten und im Hoch der Fokus und das Gefühl der Notwendigkeit, da es da tausend bessere und wichtigere Dinge gab, die ich vorzugsweise natürlich alle gleichzeitig tun wollte.

Mutiviert ins neue Jahr?

Mein ursprüngliches Vorhaben, während meiner Reise durch Portugal Anfang des Jahres einen kleinen Reiseblog zu führen, war, wie ihr vermutlich gemerkt hattet, relativ schnell im Sand all der schönen Strände verlaufen, die ich gesehen habe. Ich war mir bereits vor der Reise bewusst, dass es vermutlich kein Wellness-Entspannungsurlaub werden wird, alleine mit einer riesen Karre durch Portugal zu cruisen. Auch wenn es genau das war, was ich zu dem Zeitpunkt wollte und für nötig hielt, um mich aus der Schockstarre und Lethargie sowie der Komfortzone rauszuarschtreten, in die viele von uns innerhalb der Pandemie-Jahre dann doch früher oder später oder zumindest teilweise verfallen waren. Diesen Zweck hat meine Reise definitiv erfüllt. Und zwar nicht zu wenig. Kurz vor Antritt der Reise hatte ich mich gerade aus der depressiven Phase herausmanövriert, die mir Anfang des Jahres die Fresse poliert hatte. Zwar mehr schlecht als recht, aber ich wollte mir nicht von irgendeiner dahergelaufenen Krankheit diktieren lassen, ob ich losziehe und die Welt sehe oder nicht. Ob ich weiterhin Dinge tue, vor denen ich Angst oder zumindest Respekt habe, weil ich ja „gewisse Voraussetzungen“ habe, die andere vielleicht nicht haben. Nein, ich war der Meinung, auch mit meiner Erkrankung mutig sein und bleiben zu können und die Dinge zu tun, die mein Herz tanzen lassen. Notfalls halt eben auch zwischen zwei Polen. Aber hauptsache, es tanzt. Und hört niemals damit auf.

Apokalyptische Auszeit.

Zurück also zum Wellness-Konzept dieses so wohl bedachten und wie immer top vorbereiteten Urlaubs von mir. Note to myself: Ende Februar ist es in Portugal nicht warm. Auf meinem 6-wöchigen Trip habe ich nicht nur mal wieder viel über mich selbst gelernt, worauf ich in nem Urlaub jetzt rein theoretisch auch hätte verzichten können, das tue ich dank meiner Erkrankung sowieso zwangsläufig kontinuierlich, aber mir vor allem auch ein paar praktische Tipps und Tricks angeeignet, die mich im Laufe meines Lebens an der ein oder anderen Stelle ganz sicher ganz wunderbar bereichern werden. Wie zum Beispiel, dass 4 Grad Außentemperatur bei einem unisolierten Bus eventuell auch 4 Grad Innentemperatur bedeuten könnten. Dass Katzenstreu auch bei Menschen funktioniert. Ganz vorzüglich sogar. Dass das Zielen im Stockdunkeln auf der Matratze im Bus nicht ganz so vorzüglich funktionieren muss. Wie auch, Männer sind das gewohnt, wir Frauen ja wohl eher weniger. Dass man sich das Klo-to-go wunderbar aus einer Langnese-Tupperdose basteln kann, die man im letzten Homestay hat mitgehen lassen. Dass die größte Tupperdose auch irgendwann zu klein ist. Vor allem, wenn man in einem Anflug geistiger Umnachtung auf den Parkplatz einer Tankstelle geflüchtet ist, in dem naiven Gedanken, dort wäre es bestimmt sicherer als im Ghetto von Lissabon, und deine Karre die gesamte Nacht von besoffenen und brüllenden Truckern umzingelt ist. Dass es offenbar Strandparkplätze gibt, die nur für bestimmte Stunden gedacht sind und damit nicht die Parkdauer gemeint ist. Dass es da eventuell falsch verstanden wird, wenn man als Frau (oder auch als Mann, wer weiß) mutterseelenallein im Stockdunkeln hinten am Auto steht und ganz zuversichtlich Nudeln in Natriumkarbonat badet. Dass es sich nicht gut anfühlt, wenn diverse Autos angefahren kommen, kurz direkt vor dir stehen bleiben, einmal aufblenden und dann wieder umdrehen und wegfahren. Dass man so aufgeschlossen sein kann, wie man will, und es einem trotzdem nichts bringt, wenn man auf jedem einzelnen Campingplatz der einzige Mensch ist, abgesehen von diesem sehr höflichen englischen Pärchen. Ich wollte meine Ruhe, ich bekam sie. Und selbst der Campingplatz-Supermarkt mit dem flackernden Neonlicht, den abgelaufenen Produkten und den vereisten Tiefkühltheken leider keinen Kassierer am Band sitzen hat, weil der entweder gerade Rasen mäht, den Pool putzt, die Rezeption macht, an der keine Menschen ein- oder auschecken, im Restaurant kocht oder Reparaturen in den Duschen vornimmt. Denn mehr Leute zu bezahlen lohnt da gerade nicht.

Was wären Pläne…

Bevor das nun alles nach einem totalen Horrortrip klingt, sollte ich vielleicht noch erwähnen, dass ich meine Zeit in Portugal nicht unbedingt unter „Erholung“ verbuchen würde, aber definitiv als Abenteuer. Es war anstrengend, aber auch bereichernd. Ich hatte viel Regen und Kälte, aber auch viele Momente mit Sonnenschein und Wärme auf der Haut. Saß auf Dachterrassen und an Stränden mit Kaffee, Zigarette und Blick auf’s türkisblaue Meer. Mit knallroten Bäckchen von der für mich in diesem Jahr ersten Sonne. Und war glücklich. Fuhr mit meinem Bus zu Reggae-Musik direkt am Meer entlang und fühlte mich frei. Fuhr mit eben jenem Auto die Serpentinen zum Palast der Tränen hoch und fühlte mich dumm. Aber diese Geschichte steht auf einem anderen Blatt geschrieben. Tipp: Lasst es. Und auch warum ich letzten Endes meinte, lieber zwei Wochen in einem Zelt im Wald im Regen verbringen zu müssen statt in dem Bus, für den ich Miete zahlte, möchte ich euch gerne ersparen. Manchmal kommt es einfach anders, WENN man denkt!

So viel nochmal zu meinen Reiseerkenntnissen. Um viele Erlebnisse reicher, aber ohne so aufgetankt zu haben, wie ich es mir erhofft hatte, kam ich also Anfang April zurück. Nachdem ich, während in Deutschland der trockenste und sonnigste März seit Beginn der Wetteraufzeichnungen sein Leben feierte, in Portugal zwei Wochen im Regen im Zelt abgehangen hatte und mich fragte, ob ich in meinem vorherigen Leben vielleicht so ein richtig blödes Arschloch war, sollte das Wetter an dem Tag meines Rückfluges umschlagen. Und zwar in Deutschland von karibischer Sonne zu Monsunregen und in Portugal halt andersrum. Wer auch immer mich da verarschen wollte, dem hab ich den Gefallen nicht getan und bin erst eine Woche später zurück. Vielleicht war es auch meine frühzeitige Schadenfreude, als ich hier im Januar im wochenlangen Pissregen saß und täglich das Wetter in Portugal checkte, wo jeden Tag die Sonne schien und teilweise Temperaturen um die 20 Grad herrschten. Ha! Bald könnt ihr mich hier alle mal, ihr Sucker, dachte ich mir da. Karma always finds its way, bitch.

Stigma-Schelle, gib mir!

2022 war für mich das Jahr des Stigmas. Erst dadurch fiel mir auf, dass ich seit meiner Diagnose und auch seitdem ich mit meinem Blog, in dem Zeitungsartikel oder auch im Podcast öffentlich über meine Erkrankung spreche, relativ wenige und wenn, dann eher unterschwelligere Stigma-Erfahrungen gemacht hatte. Wobei unterschwellig nicht viel besser ist. 2022 hat all das jedoch wieder wettgemacht, so viel ist sicher. Einiges davon war so erschreckend und hat mich so tief erschüttert, dass ich erst mal darauf klarkommen musste. Anderes war einfach nur lächerlich. Und manches war so unfassbar, dass mir und auch anderen die Worte wegblieben. Und dass die einzig sinnvolle Reaktion eigentlich nur gewesen wäre, in hysterisches Gelächter auszubrechen. Wenn es nicht so tragisch gewesen wäre.

Wichser in weiß.

Ich würde die Gelegenheit hier heute allerdings gerne auch nutzen, um mit euch ein kleines aber feines Potpourri an gequirlter Scheiße zu teilen, mit denen ich und andere bipolare Frauen, die ich kenne, über die Jahre in Beziehungen oder Kennenlernphasen von unseren Herren der Schöpfung beglückt wurden. Einige der Geschichten, die ich euch erzählen werde, habe ich selbst erlebt, andere erfreulicherweise nicht. Aber es geht hier nicht darum, ob ich selbst das erlebt habe oder jemand anderes. Es geht darum, dass solche Dinge passieren und solche Dinge gesagt werden. Und das sicher auch zu Männern mit der Erkrankung, egal von und zu welchem Geschlecht. Da ich aber nur von meinen Erfahrungen sprechen kann, die nun mal mit Männern waren, kann ich nur eine von vielen Sichtweisen hier teilen. Und, da das Ganze vermutlich nicht unbedingt freundlich ausfallen wird, vorweg: Es gibt ganz viele tolle Männer da draußen, so viel ist sicher. Und ich kenne einige Positivbeispiele von anderen Frauen, deren Männer toll mit der Erkrankung ihrer Partnerin umgehen, und andersherum. Leider ist das aber meiner Meinung nach eher die Ausnahme als die Regel. Folgendes ist also kein Angriff auf die Männerwelt im Allgemeinen, sondern eine kleine Abrechnung mit all jenen, denen die ein oder andere Therapie in ihrem Leben vielleicht auch nicht geschadet hätte. Die sich ohne diagnostizierte pathologische Ursache charakterlich weit jenseits der alleruntersten Gürtellinie rumtreiben. Von Männern in Machtpositionen, die niemals auch nur in die Nähe eines weißen Kittels gelassen werden hätten sollen. Vom System eines Landes, welches nicht unseres ist, das Diskriminierung auf allerhöchstem Niveau betreibt. Und von Menschen und Teilen unserer Gesellschaft, die nicht den geringsten Funken Verständnis oder Toleranz für psychische Erkrankungen im Allgemeinen oder deren Betroffene im Speziellen in sich haben.

Fangen wir zur Einstimmung mal mit einer der etwas harmloseren Geschichten an.

Okay, Google.

Ich war gerade wieder aus Portugal zurück in Deutschland, als ich mich für einen Nebenjob als Nanny beworben habe. Im Zuge dessen hatte ich ein paar Vorstellungsgespräche, die richtig gut gelaufen waren und bei denen ich mit den Kids direkt eine Verbindung aufgebaut hatte. Meine gesamte Jugend über kümmerte mich um die Kinder von drei Familien, zwei von ihnen mit drei Kindern und eine mit zwei. Im Alter von 2 bis 14. Ich konnte schon immer gut mit Kindern, ich mochte Kinder und Kinder mochten mich. Deswegen konnte ich mir Kinderbetreuung nebenher ganz gut vorstellen. Am passendsten hatte sich dann letzten Endes eine Stelle bei einer Familie mit zwei Kindern herauskristallisiert. Ich wartete darauf, dass die Vermittlerin von der Agentur mir den Termin für das Vorstellungsgespräch nannte. Sie hatte dem Kunden am Telefon etwas von mir und meinen Erfahrungen erzählt und der Familienvater war, Zitat, „sehr angetan“ davon. Sie wollte sich eigentlich schon längst gemeldet haben und nach ein paar Tagen stellte sich ein komisches Bauchgefühl bei mir ein. Als das Handy dann endlich klingelte und sie „Hallo Frau Waldherr“ sagte, wusste ich schon, es war gelaufen. Und lustigerweise wusste ich in dem Moment auch ganz genau, warum es gelaufen war. Sie wand sich wie ein Aal und fing direkt an, sich zu entschuldigen. Der Vater hatte mich gegoogelt und den Artikel im Hamburger Abendblatt gelesen. Er fand das ja alles total toll, wie ich das mache, aber „so etwas“ könne er leider „für seine Kinder nicht mit seinem Gewissen vereinbaren“. So muss es sich anfühlen, wenn man nicht gegen eine Wand läuft, sondern die Wand dir das netterweise abnimmt und sich dir frontal ins Gesicht platziert. Und das mit Schwung. Alles andere, was die Vermittlerin noch sagte, hörte ich nur noch weit entfernt. Ich kannte sie gut und mochte sie sehr gerne und ihr Bedauern und ihr Mitgefühl war echt. Trotzdem beendete ich das Gespräch so schnell wie möglich, damit ich in Ruhe und unbeaufsichtigt in Tränen ausbrechen konnte.

Ich wusste, dass so etwas früher oder später passieren würde. Ich wusste es, als ich vor über vier Jahren auf den Button Sichtbarkeit „Öffentlich machen“ in WordPress klickte. Die größte Sorge einiger meiner Angehörigen, die mich dann aber, als sie merkten, dass ich mich davon, wie von den meisten Dingen, die ich mir in den Kopf gesetzt hatte, nicht abbringen lassen würde, in meiner Entscheidung, öffentlich über meine Erkrankung zu schreiben, bestärkten. Wir alle wussten, dass irgendwann irgendetwas in der Art passieren würde. Und in meinem Fall passierte das nun nach vier Jahren verhältnismäßig spät. Vielleicht traf es mich auch deswegen so unerwartet. Ich war innerhalb weniger Sekunden vom Mensch zur Aussätzigen metamorphosiert. Die Verwandlung. Zu einer Gefahr für die Gesellschaft. Ganz besonders für unschuldige Kinder. Und eigentlich auch für die gesamte Menschheit. Und das Allerschlimmste daran war: Gleichzeitig drängte sich mir die Frage auf, wie ich selbst als Mutter gehandelt oder gedacht hätte. Ein Quäntchen Verständnis machte sich in mir breit.

Waldtränenbaden.

Erstaunlicherweise machte dieses eigene Verständnis das Ganze nicht besser, sondern machte mich noch viel trauriger. Weil mir bewusst wurde, wenn schon ich selbst als Betroffene, die mit dieser Erkrankung lebt und deren Ausmaße kennt und einschätzen kann, zumindest meine eigenen, so denke und aber ganz genau weiß, dass ich deswegen keine Gefahr für Kinder und auch für sonst niemanden bin…wieso sollten dann Menschen, die keinerlei Berührungspunkte mit bipolaren Störungen im Speziellen oder psychischen Erkrankungen im Allgemeinen haben, anders darüber denken? Ironischerweise war ich gerade dabei, das ziemlich frisch geschlüpfte Baby meiner besten Freundin in den Kinderwagen zu packen und den dann heulend durch den Wald zu schieben. Außer dass sich die Leute, die mir entgegenkamen und mich mitleidig anglotzten, vielleicht dachten, Augen auf bei der Verhütungswahl, Mädchen, hat mein Rotz das Baby relativ wenig interessiert und vermutlich auch eher wenig in Gefahr gebracht. Ich hatte also genug Zeit, darüber nachzudenken, was da gerade passiert war. Und ja, es gibt tragischerweise psychische Erkrankungen, die es deren Betroffenen unmöglich machen, sich um ein Kind oder ein Baby zu kümmern. Ja, es gibt Menschen mit psychischen Erkrankungen, für die die Arbeit mit Kindern wirklich nicht das Richtige ist. Allerdings gibt es mindestens genau so viele Menschen ohne psychische Erkrankung oder zumindest Diagnose, für die die Arbeit mit Kindern genau so wenig oder noch viel weniger das Richtige ist. Ich überlegte, was mich an der Sache am meisten getroffen hatte und kam zu dem Schluss, dass es die Tatsache war, dass man mir nicht mal eine Chance gegeben hatte durch ein persönliches Kennenlernen. Aber auch das konnte ich rational vielleicht noch nachvollziehen. Aber am Schlimmsten fand ich, dass das nur ein Beweis dessen war, was ich bereits wusste: Dass in unserer Gesellschaft noch immer so wenig Verständnis für psychische Erkrankungen herrscht. Dass man als Betroffene*r um Stigmatisierung und Diskriminierung im Berufs- sowie Privatleben kaum herumkommt. Dass psychisch krank wohl einfach psychisch krank ist und alle Diagnosen zusammen in einer Schublade kuscheln. Macht Sinn, bei Krebs ist ja auch jede Art genau gleich. Und Menschen sind sowieso auch alle gleich. Gibt sich quasi nix.

Burn-Out hat Stil.

Dass das bei der mangelnden Aufklärung, die meiner Meinung nach nicht in erster Linie in den Händen der Betroffenen, sondern in denen von Fachleuten, in der Politik und heutzutage vermutlich auch zu sehr großem Teil in den Medien und sozialen Netzwerken liegen sollte, kein Wunder ist. Dass man es dem Familienvater vielleicht nicht mal übelnehmen kann oder sollte. Die Tabuisierung, die psychischen Erkrankungen noch immer anhaftet und Scham und Schweigen seitens der Betroffenen nach sich zieht, ließe sich, wenn überhaupt, nur durch einen gemeinsamen Kraftakt der verschiedensten Teile und auf diversen Ebenen unserer Gesellschaft überwinden.

Eine Ausnahme gibt es meiner Ansicht nach allerdings beim gesellschaftlichen Umgang mit psychischen Erkrankungen: Unipolare Depressionen. Die einzige psychische Erkrankung, für die sich das Verständnis in den letzten Jahren verbessert hat. Vermutlich dadurch, dass, meines Empfindens nach hauptsächlich durch Beiträge in Medien, mittlerweile jeder weiß, was ein Burn-Out ist und dass ein Burnout eine Erschöpfungsdepression ist. Und dass man ja nur ausgebrannt sein kann, wenn man vorher für etwas gebrannt hat, im Idealfall für einen Job oder Arbeitgeber, effektiv und produktiv und somit ein gern gesehener und funktionierender Teil unserer Gesellschaft war. Das ist eigentlich sowieso die einzige Entschuldigung für eine Depression. Erst die Arbeit, dann die Depression!

Bis kurz vor meiner Diagnose hatte ich noch nie etwas von „bipolar“ gehört. Geschweige denn von 1 und 2, was soll das denn bitte. Der Begriff manisch-depressiv war mir geläufig und ich erinnere mich, dass ich dachte, das wäre das Schlimmste, was man haben könnte. Ohne davor einen einzigen Absatz darüber gelesen zu haben. Und das manisch-depressiv und bipolar das Gleiche war, das wusste ich schon lange nicht. Und da bin ich leider in bester Gesellschaft in unserer Gesellschaft.

Eine, wenn nicht die am stärksten stigmabehaftete psychische Erkrankung ist die Schizophrenie. Laut einer Studie lehnen fast ein Drittel der Befragten Schizophrenie-Erkrankte als Nachbarn ab. Mit zunehmender sozialer Nähe steigen die Ablehnungswerte auf bis zu 80 %. Das muss man sich mal reinziehen. Studien belegen, dass allein das Gefühl, einer Stigmatisierung ausgesetzt zu sein, ausreicht, um die Gefahr eines Suizids bei Betroffenen zu erhöhen (Quelle: https://www.dgppn.de/schwerpunkte/stigma.html).

Scroll dich schlau.

Abgesehen von der Tatsache, dass Stigmatisierung bei psychischen Erkrankungen überhaupt existiert, ist das Hauptproblem daran, dass Stigma quasi wie eine zweite Krankheit gesehen oder von Betroffenen empfunden werden kann. Sie haben dann nicht nur mit den Symptomen ihrer psychischen Erkrankung, mit denen sie bereits mehr als bedient sind, zu kämpfen, sondern mit Vorurteilen und Diskriminierung. Ein bedeutender Unterschied zu körperlichen Erkrankungen wie Diabetes. Allerdings darf man auch hier nicht vergessen, dass es ebenso körperliche Erkrankungen gibt, die stigmatisiert sind, wie zum Beispiel Aids.

Eigentlich kann nur eines wirklich gegen Vorurteile helfen. Vorurteile entstehen aus Unwissenheit. Und Angst. Was der Mensch nicht kennt, macht ihm Angst. Kennen vermutlich einige von uns. Wenn das stimmt, dann wäre das Mittel der Wahl gegen Vorurteile vermutlich an der absoluten Pole-Position Aufklärung. Und zwar faktenbasierte. Fundierte Informationen, die das Wissen bereit stellen, das den Weg zu Verständnis und daraus hervorgehender Akzeptanz ebnen könnte. Aktive Pressearbeit. Kampagnen in sozialen Medien. Was weiß ich. Halt alles, was sich Menschen anschauen, dem sie zuhören oder sich irgendwie anderweitig reinziehen. Prominente, die ihre Bekanntheit als Plattform nutzen, um öffentlich über ihre Erkrankung zu sprechen und möglichst viele Menschen damit erreichen, seien es Follower auf Instagram, Zuschauer im TV oder online oder Leser*innen ihrer Bücher. Ist ja alles schön und gut mit meinem Blog hier oder auch anderen Privatpersonen, die öffentlich über ihre psychische Erkrankung schreiben, bloggen, tik-tokken, twittern, reelen, malen, poetry-slammen, singen oder was auch immer. Versteht mich nicht falsch, meiner Meinung nach zählt jede einzelne Stimme, sonst würde ich ganz sicher nicht hier sitzen und Stunden um Stunden um Tage um Wochen um Monate meiner kostbaren Lebenszeit darauf verwenden, hier meine Zeilen auf den Bildschirm zu bringen. Aber man sollte schon realistisch bleiben und es ist nun mal etwas anderes, ob ich hier was schreibe oder Nora Tschirner oder Kurt Krömer oder Torsten Sträter was im TV zur Prime Time oder auf Spotify erzählen. Und auch was Kanye West so macht, wissen vermutlich ein paar mehr Leute als die, die meinen Blog lesen.

Der Täter war „psychisch auffällig“.

Was ich damit sagen will ist einfach nur, dass Information und Aufklärung nur dann etwas bringen, wenn sie Menschen auch erreicht. Warum sollte sich zum Beispiel der Familienvater, der eine Betreuung für seine Kinder sucht, wenn er noch nie Berührungspunkte zu psychischen Erkrankungen hatte, an einem gemütlichen Samstag Abend denken: Okay google, gib mir alles, was du zum Thema Schizophrenie und Bipolar 2 am Start hast, darüber wäre ich nämlich so gerne informiert, damit ich meinen gesellschaftlichen Beitrag in der Zukunft nicht in Form von Stigmatisierung, sondern in Verständnis und Wohlwollen gegenüber all den Betroffenen psychischer Erkrankungen da draußen leisten kann! Unwahrscheinlich. Aber wenn der Familienvater an einem Samstagabend die Glotze anwirft, wird ihm mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit die ein oder andere Werbung nicht entgehen, die ein oder anderen Beiträge in Sendungen, Nachrichten oder auch einfach ein Tatort, in dem der Massenmörder (denkt euch das Gendern hier bitte dazu) nicht schon wieder ein manisch-depressiver oder Schizophrener ist, der sich nach dem Zerstückeln diverser Leichen in einer Klinik befindet, die, wie das heutzutage in Kliniken eben so ist, komplett aus weißen Kacheln besteht, alle Tag und Nacht an ihre Betten gefesselt sind und permanent rumschreien. Oder der Teenie oder junge Erwachsene, der leider ein Insta-Opfer ist und sich den lieben langen Tag durch Reels scrollt. Man müsste vielleicht den Algorithmus, der auf Hundewelpen und Menschen, die sich lustig auf die Fresse legen oder auf Glatteis packen, ausgerichtet ist, vielleicht etwas austricksen und hier und da mal ne kleine Psycho-Message (Betroffene dürfen Psycho sagen) reinhauen, die, warum auch immer, nicht sofort weitergescrollt wird. Weil kein Teenie etwas über psychische Erkrankungen sehen, lesen oder hören will. Aber auch dafür gibt es doch Leute. Ihr kreativen Köpfe da draußen, denkt euch was aus, was catcht und hängenbleibt! Geht doch mit allem anderen, was vermarktet werden soll und Kohle ranschafft, auch.

Trialogische Projekte wie Irre Menschlich e.V. in Hamburg, deren Mitwirkende, Betroffene, Angehörige und Fachpersonen an Schulen, Universitäten und in Betriebe gehen und dort ihre Geschichte teilen und Informationen über verschiedene Krankheitsbilder bereitstellen. In den Austausch mit den Zuhörer*innen gehen. Es gibt so viele Möglichkeiten, die wir alle noch nicht mal annähernd ausgeschöpft haben, die aber bereits den Anfang gemacht und einen Grundstein gelegt haben. Als absoluter Vorreiter ist hier natürlich das Aktionsbündnis Seelische Gesundheit zu nennen, das mit über 100 Mitgliedsorganisationen Antistigma-Arbeit in großem Stil leistet und Projekte wie „Initiative Grüne Schleife“ oder die „Aktionswoche Seelische Gesundheit“ organisiert und umsetzt. Das Aktionsbündnis befindet sich in Trägerschaft der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. (DGPPN). Auf diesen Grundsteinen gilt es aufzubauen.

Das Ziel ist das Ziel.

Zusammenfassend lässt sich vielleicht sagen, dass jegliche Antistigma-Arbeit für den Arsch ist, wenn sie nicht bei den Menschen ankommt, die sie erreichen soll. Und auch das reicht leider noch nicht. Sie muss nicht nur ankommen. Sie muss von der Zielgruppe auch aufgenommen werden. Bei all dem Scheiß, den wir tagtäglich auf diversen Kanälen konsumieren und uns zuballern mit Input und Reizen bis zum Get no, sollte es doch möglich sein, eine Nische für ausnahmsweise mal was von Bedeutung wie Aufklärung zu schaffen und Information so aufzubereiten, dass sie es irgendwie zum Ziel schaffen. Vielleicht ist das auch nur mein Wunschdenken, aber noch glaube ich daran, dass das möglich ist. Auch wenn es ein weiter und sicher steiniger Weg ist. Außerdem find ich, sind Wünsche zum Erfüllen da.

Als steinig erwies sich für mich auch der Weg nach New York als Transit für meine sechswöchige Reise nach Costa Rica (dieses Mal habe ich sichergestellt, dass es an der Destination tatsächlich warm ist und zwar 35 Grad, jetzt aber endlich ihr Sucker) auf die ich mich in einer Woche begebe, und das ESTA, das ich dafür beantragen musste. Das gibt es nämlich bedauerlicherweise nicht für jemanden wie mich, der öffentlich über psychische Erkrankungen schreibt und auf Seite 1 bei Google in einem Zeitungsartikel mit dem Titel „Bipolar 2…“ zu finden ist. Im ESTA-Antrag muss man mittlerweile alle social media Kanäle angeben. Und die USA wollen nämlich lieber keine psychisch Kranken in ihrem Land haben. Auch nicht zum umsteigen. Verständlich, die haben ja auch keinerlei Berührungspunkte mit psychisch Kranken, vor allem nicht in ihrer Politik. Die 50 Tacken dafür haben sie aber trotzdem gerne genommen. Sind ja finanziell auch keine rosigen Zeiten da drüben. Da wären wir wieder bei dem Thema, was eine Privatperson mit einem Blog bewirken kann. Offensichtlich doch mehr, als ich dachte. Für die Vereinigten Staaten von Amerika bin ich also prominent genug. Mega lit.

Hello back.

Die komplette Story dazu und die Antwort auf die Frage, was ein Chefarzt mir bezüglich seiner Affinität zu Manikerinnen und deren Sexiness zu sagen hatte, gibt es dann im nächsten Artikel. Außerdem werden wir gemeinsam herausfinden, warum Palo Santo Holz bipolare Störungen heilen kann, warum es für bipolare Frauen immer eine gute Idee ist, einfach ihr Röckchen hochzuschieben, während andere Exemplare gut beraten wären, ihr Höschen schön brav und bis in alle Ewigkeit anzubehalten und die Frauenwelt somit vor Schlimmerem zu bewahren und was all das mit einer idiopathischen Fazialisparese und meiner Woche im Krankenhaus zu tun hat. Es bleibt also spannend.

Kürzlich wurde ich gefragt, ob es denn sein muss, meinen Blog unter meinem richtigen und vollen Namen zu schreiben. Ja, muss es. Obwohl ich es komplett verstehen kann, wenn jemand das nicht möchte und jeder Beitrag, der unter einem Pseudonym zu diesen Themen geleistet wird, genau so viel wert ist, war und ist das für mich keine Option. Denn für mich persönlich wäre das Schreiben unter einem Pseudonym eine weitere Bestätigung der Stigmatisierung psychischer Erkrankungen. Wir müssen uns nicht verstecken. Und wir sind viele. Das Internet vergisst nie. Und das ist gut so.

Wenn mich jemand wegen meines offenen Umgangs mit meiner psychischen Erkrankung oder der Erkrankung an sich nicht als Angestellte, als Touristin in seinem Land oder als was auch immer haben will, wobei ich in meinen hypomanen Phasen doch anscheinend so sexy bin, dann war es wohl trotz allem einfach nicht sexy genug.

Jobs und Länder haben wir ja zum Glück genug auf dieser Welt. Von Amsterdam gehen übrigens Direktflüge nach Mittelamerika.

Drückt mir die Daumen, dass im Flieger kein unschuldiges Kind neben mir sitzt.

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