Scheiße Man(ie). Bin ich jetzt also fame?

Bildquelle: Lisa C. Waldherr

Ich bin drüber. Ordentlich. Und was soll ich sagen?

Leider geil.

Das ist es immer, wenn ich drüber bin. Und das ist auch überhaupt nicht das Problem. Das Problem ist das Tief, das nach dem Hoch kommt.

Wie der Name schon sagt, kennzeichnet sich die bipolare Erkrankung durch den Wechsel von depressiven und manischen (oder hypomanen) Phasen. Zur genaueren Erklärung des Krankheitsbilds und dem Unterschied zwischen den beiden Typen Bipolar-I und Bipolar-II (meine Diagnose) schaut gerne hier vorbei: https://tanzzwischendenpolen.com/bipolare-storung/

Kleines 1 mal 1 des „Drüberseins“: Die Hypomanie

Die Hypomanie ist eine leichtere Form der Manie, sozusagen „die kleine Schwester der Manie“.

Mit Symptomen der Manie in abgeschwächter und kürzerer Form besteht oft nur mehrere Tage oder wenige Wochen eine leicht gehobene Stimmung. Meistens sind noch soziale Anpassung und ausreichende Selbstkontrolle vorhanden, die bei der Manie nicht mehr gegeben sind. Es treten keine psychotischen Symptome auf, wie sie es bei der Manie tun können (z.B. durch Halluzinationen). Die Patienten merken oft selbst nicht, dass sie hypoman sind, weil sie diesen Zustand der Hypomanie als angenehm und gesund empfinden. Nahe Angehörige jedoch empfinden die hypomanischen Symptome in der Regel als störend und bemerken die Symptomatik eher als die Betroffenen selbst.

Symptome der Hypomanie

  • Übertriebene Aktivität
  • Unruhe
  • Vermehrte Betriebsamkeit
  • Vermindertes Schlafbedürfnis
  • Vermehrter Rededrang
  • Gesteigerte Kontaktbedürftigkeit
  • Ablenkbarkeit
  • Konzentrationsprobleme
  • Erhöhte Reizbarkeit
  • Gesteigerte Libido
  • Vermehrte körperliche und geistige Schaffenskraft
  • „Geniale“ Ideen
  • Gedankenrasen

Als ich vor knapp einem Monat den letzten Blogartikel geschrieben habe, war ich gerade aus dem letzten Tief raus. Ich hatte in Absprache mit meiner Ärztin die Medikamente etwas erhöht und extrem darauf geachtet, was mir gerade gut tat und was nicht. Was ich brauchte und was nicht. Was ich tun oder vielleicht auch besser lassen sollte, damit es nicht noch weiter bergab ging.

Kollateralschaden.

Der Shift kommt selten von einem auf den anderen Tag, es fühlt sich aber oft so an. Ich habe das Gefühl, dass der Wechsel von einer Tief- in eine Hochphase langsamer geht als die Bruchlandung in die andere Richtung. Während einem der Frontalaufprall gegen eine Depressionswand eher schwer entgehen kann, kommt so eine hypomane Phase schon mal relativ hinterfotzig dahergeschlichen. Wie immer spreche ich hier nicht von allgemeinen Regeln, sondern einfach nur von meinem persönlichen subjektiven Erleben und Empfinden.

Bei Bipolar-II-Typen, zu denen auch ich gehöre, treten, im Wechsel mit den depressiven Phasen, ausschließlich hypomane Phasen auf. Die Symptome einer Hypomanie ähneln zwar denen einer Manie, sind aber in der Regel schwächer und kürzer ausgeprägt. Bei einem ungünstigen Verlauf, falscher Behandlung, kontraproduktivem Verhalten oder Lebensstil, etc. kann sich eine Bipolar-II-Erkrankung zu einer Bipolar-I-Erkrankung verschärfen, was bei mir zum Glück bisher nicht der Fall war. Wofür ich sehr dankbar bin. Denn eine ausgewachsene Manie, deren Zerstörungspotential und Auswirkungen auf diverse Lebensbereiche der Betroffenen und vor allem auch deren Angehörige von verheerendem Ausmaß sein können, ist nochmal ein ganz anderer Schnack als eine Hypomanie (ohne deren Problematik zu schmälern). Das ist alles, was ich aus Schilderungen von Betroffenen und Literatur zum Thema Manie „weiß“ und somit das einzige, was ich zu dieser Thematik sagen kann und möchte. Alles andere steht mir nicht zu. Bei jedem Bericht zu meinen Hochphasen auf diesem Blog handelt es sich um hypomane und nicht manische Phasen. Da ich aber finde, dass Manien für einen Blog über bipolare Erkrankungen einfach dazugehören, ist ein Erfahrungsbericht in Form eines Gastartikels für die nahe Zukunft bereits in Planung, um euch auch dieses Erleben vielleicht etwas näher zu bringen.

Nachwehmut.

Das Tief lag also gerade hinter mir und ich war froh, dass das Schlimmste überstanden war und es wieder bergauf ging. Es ist immer wieder erstaunlich, wie viel Kraft und Energie diese Phasen Körper und Geist kosten. Und dabei die Dauer der Regenerationsphase in keinerlei Verhältnis zur Dauer der eigentlichen Phase steht. Selbst wenn es mal „nur“ ein paar richtig beschissene Tage mit depressiven Symptomen sind…manchmal habe ich noch Wochen später das Bedürfnis, einfach nur zu schlafen und mich auszuruhen. Allerdings auch nicht wirklich erstaunlich, wenn man sich einmal genau anschaut, was während depressiver Phasen so alles im Körper abgeht. Und was ihm eventuell auch alles verwehrt wird in dieser Zeit. Vor ein paar Wochen habe ich mich mit einer guten Freundin getroffen, die ähnliche Zeiten wie ich kennt und hinter sich hat, wenn auch in ganz anderer Form. Wir wissen auf jeden Fall, wovon die andere spricht und können gewisse Dinge nachempfinden, wie andere es vielleicht nicht können. Und irgendwie waren wir beide erleichtert, als wir uns erzählt haben, dass wir unser Energielevel, wie es vor der einen schweren Depression war, in dieser Form bisher nicht wieder erreicht haben. Schon krass. Wenn ich an die Monate und Wochen vor meinem Klinikaufenthalt Ende 2017 zurückdenke, wundert mich das aber auch überhaupt nicht. Von körperlichen Krankheiten (und Depression ist eine Krankheit, die den Körper ebenso beeinträchtigt wie die Psyche) muss man sich schließlich auch oft sehr lange erholen. Reha sozusagen. Vielleicht kommt das alte Energielevel wieder. Irgendwann. Vielleicht auch nicht. Und vielleicht ist das dann auch nicht so schlimm. Weil mir mein Körper dann ab sofort einfach früher sagt, wann es ihm reicht und einfach nicht mehr mitmacht. Dann hab ich nicht mal eine Wahl. Auch gut.

Lechzen nach Likes

Der Akku unseres blöden Smartphones hält ja auch länger, wenn wir den Stromsparmodus aktivieren oder unnötige Apps löschen, die zwar kein Schwein braucht, die dafür aber Unmengen von Speicherplatz fressen. Und falls der Akku mal ganz leer ist, hängen wir das Teil ja auch an den Strom, um es wieder aufzuladen. Dank der mittlerweile stolzen Sucht unserer Generation nach sozialen Medien auf allen Kanälen, Bestätigung von allen Seiten, um unser verkümmertes Selbstwertgefühl oder verletztes Ego zumindest für eine Weile vergessen und das, was wirklich dahinter steckt, verdrängen zu können, ständiger Zerstreuung im Kampf gegen Langeweile und unschöne Gedanken sowie 24/7 Erreichbarkeit aus Angst vor Stille und Einsamkeit, sind die Akkus unserer überlebensnotwendigen steten Begleiter heute weitaus weniger von Leere bedroht als unsere eigenen. Man muss halt auch mal Prioritäten setzen im Leben.

Und dann schleicht sie sich heimlich und leise in meinen Alltag…

So was von wach!

Es geht mir einfach nur endlich wieder besser! Wurde ja auch mal Zeit!

Irgendwie bin ich total motiviert. Alter, jetzt war monatelang Corona und ich hätte so viel Zeit gehabt, meinen ganzen Unikram zu erledigen und hunderttausend Blogartikel zu schreiben, und, und und…aber irgendwie waren einfach andere Sachen wichtiger. Wie das eben manchmal so ist. Und hey, außerdem war Sommer! Wäre ja schön blöd gewesen, den am Schreibtisch statt auf, an, unter und im Wasser zu verbringen. Und als die anderen Sachen nicht mehr so wichtig waren und ich vielleicht wirklich endlich Zeit gehabt hätte, ging es mir so beschissen, dass ich es gerade mal und unter größtem Kraftaufwand geschafft habe, meinen Alltag zu bewältigen, arbeiten zu gehen, um meine Miete zu zahlen, vielleicht ab und zu was Ungesundes zu essen und diverse Kippen anzuzünden. Da war nicht an Schreiben geschweige denn Unikram zu denken. Tja. Timing is a bitch.

Nachtschicht.

Jetzt ist plötzlich sogar so sehr an Unikram zu denken, dass ich meinen Gedanken, Ideen und kreativen Einfällen selbst fast gar nicht mehr folgen kann. Ich lege eine Motivation und Inspiration an den Tag, von denen sich meine depressiven Phasen bei Gelegenheit mal ne Scheibe abschneiden könnten. Tag für Tag schleppe ich meine kompletten Unterlagen und meinen Laptop über die Reeperbahn, reiße euphorisch und voller Energie meine Schicht im Café runter, habe selbst im größten Stress immer noch für alle und jede*n einen lockeren Spruch auf den Lippen, finde mich selbst dabei eigentlich auch ganz schön witzig und putze in Windeseile nach Feierabend zu ohrenbetäubender Gute-Laune-Musik den Laden, bevor ich mich an meinem Laptop setze und bis spät in die Nacht im Halbdunkel des Cafés meine Hausarbeiten schreibe. Innerhalb von einer Woche habe ich alle drei Prüfungsleistungen fertig, für die ich das gesamte Semester Zeit gehabt und bisher nichts bis nur das Nötigste getan hatte. Damit es nicht langweilig wird, plane und organisiere ich nebenher noch meinen ersten Schreibworkshop, der Ende November startet. Läuft bei mir!

Ich bin so wach! Nicht die Luft ist zum Schneiden scharf, aber mein Verstand dafür definitiv. Waren die Konturen meiner Umgebung schon immer so deutlich? Die Töne so klar? Die Geräusche so unmittelbar voneinander abzugrenzen? Die Farben so bunt? Der Geruch des Spätsommers so warm? Ich muss an den Film „Limitless“ denken und frage mich, ob sich diese Wunderdroge wohl ein bisschen so anfühlt?

Geieeeel.

Sonnenbrille an…

Musik ist mein ständiger Begleiter in diesen Phasen. Während ich nach Feierabend normalerweise meine Wohnungstür aufschließe und froh bin, nach dem Lärm des Tages, des Cafés, der Stadt endlich Ruhe zu haben, drehe ich jetzt das Radio auf, singe schief unter der Dusche und freue mich meines Lebens. Auf dem Weg zur Arbeit, auf dem Weg zurück, im Supermarkt, in der Bahn, auf dem Rad, beim Spaziergang mit dem Hund. Alle Lieder hoch und runter. Käme es komisch, jetzt einfach auf der Straße los zu tanzen? Scheiß doch drauf, was die anderen denken! Selbst schuld, wenn die keinen Spaß im Leben haben! Was wäre das Leben nur ohne Musik??! Wie furchtbar! Gott, ich hab so Bock, endlich mal wieder so richtig durchzudrehen und die ganze Nacht tanzen zu gehen! Nicht, dass ich unsere Party- und Saufgesellschaft großartig vermisse, da fehlten mir die letzten Monate eher die Saunagänge, aber manchmal wär’s irgendwie schon geil. Not macht ja zum Glück erfinderisch. Ich mache nachts nach Feierabend ne kleine private Kopfhörerparty in meinem Zimmer. Fenster auf. Augen zu. Musik an! Techno. Der Bass wummert in meinen Ohren und Endorphine ballern durch meine Blutbahnen. Ich könnte ewig so tanzen. Vergesse alles um mich herum und lass mich im Moment treiben. Ich höre erst auf zu tanzen, als ich schon ganz schön verschwitzt bin. Nice. Ich bin immer noch zu aufgedreht zum Schlafen. Die Nächte werden kürzer, die Tage länger. So hell. Es ist Herbst. So viel Glitzer und Flausch in meinem Kopf! Was ich morgen alles erledigen könnte. Möchte. Werde! Was ich heute schon wieder alles erlebt habe! Es wird aber auch nie langweilig! Allein diese Begegnung vorhin auf der Straße… Vielleicht sollte ich das mit dem work and travel in Kanada wirklich mal ins Auge fassen, bevor ich zu alt dafür bin! Grade natürlich nicht so praktisch, aber….nee warte mal. Ich fahr morgen einfach ans Meer! Beste Idee! Hab ja grad ein Auto! Ich fühle mich so frei und unabhängig wie schon lange nicht mehr! Ob das wohl am Auto liegt?

…fahr raus aus meiner Stadt…

Ich kann bis nachts um 2 nicht schlafen, weil ich mich so sehr auf meinen soeben spontan geplanten Roadtrip freue und es gar nicht erwarten kann, voller Euphorie in den neuen Tag zu starten. Mein Herz klopft. Ich bin um 7 schon wieder hellwach, und zwar nicht, weil der Wecker mich geweckt hat. Der sollte nämlich erst um 9 klingeln. Ich bin einfach wach. Ich! Fein. Dann ist das jetzt wohl so und ich nutze die Gunst der Stunde. Stopfe den frühen Vogel zu Bikini, Handtüchern und Sonnencreme in meinen Rucksack, hole mir bei meinem Stammportugiesen um die Ecke einen Kaffee, obwohl ich schon jetzt Herzrasen habe, gebe zwei Euro Trinkgeld, ich arbeite ja schließlich selbst in der Gastro und jeder weiß, dass Kellner*innen, Baristas und Co. von ihrem Trinkgeld leben (ja vom Lohn sicher nicht, haha!), also was soll der Geiz, ich lege noch nen Euro drauf! Als ich ins Auto steige, fällt mir auf, dass ich gerade mehr Trinkgeld gegeben habe, als der Kaffee selbst gekostet hat. Naja. Yolo! Erklärt den verwirrten Blick des Mädels hinterm Tresen. Gute Tat für heute. So. Hit the road! Kippe an, Musik laut, Fenster auf und los geht’s. Ich hab richtig Bock. Wie geil ist das denn bitte? Einfach ins Auto steigen und losfahren! Autobesitzer*innen wissen gar nicht, was für einen Luxus sie da genießen. Da ich weiß, dass ich diesen Luxus nur vorübergehend habe, genieße ich ihn um so mehr. Noch dazu unter der Woche, weil ich nun mal meine freien Tage unter der Woche habe. Eigentlich schön blöd, wenn man sein Auto nur dazu nutzt, zur Arbeit und zurück zu fahren. Irgendwie total falsch investiert, oder nicht? Ich will endlich einen Bus haben! In meinem Kopf schießen die absurdesten Finanzierungsideen wie kleine Raketen hin und her und sorgen dafür, dass ich bei der nächsten Tankstelle ranfahre und mir lieber noch einen Kaffee hole. Wobei noch wacher echt schwierig werden könnte!

Um zehn Uhr grabe ich knirschend die Zehen in den Sand meines Lieblingsstrands, an dem ich um diese Uhr- und Jahreszeit ganz alleine bin. Ich gehe nackt baden und schnappe nach Luft, weil das Wasser schon so kalt ist. Buddele mein mittlerweile kühles alkoholfreies Bier aus dem Kies an der Wasserkante. Schaue auf das glitzernde Wasser. Möwenkreischen. Rauch in meiner Lunge. Die Spätsommersonne wärmt schüchtern meine Haut. Ich bin einfach nur glücklich. Spüre so viel Liebe in mir, dass ich gar nicht weiß, wohin damit. Alles ist leicht. Wie sehr ich es liebe. Das Leben.

Ich bin drüber. Ordentlich.

Und was soll ich sagen?

Leider ganz schön gefährlich.

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