Viele viele weiße Smarties…

Kürzlich war es wieder so weit und es wurde anhand von EKG und Blutentnahme mal wieder überprüft, ob mein Körper weiterhin mit der Medikation zurechtkommt, auf die ich nun schon seit über zwei Jahren eingestellt bin. Selbst wenn man vielleicht gerade mal nicht ganz so oft daran denkt, dass man eine psychische Erkrankung hat, vor allem, wenn es einem vielleicht schon ein ganzes Weilchen und momentan gut geht, wird man spätestens in solchen Situationen daran erinnert, dass es sich eben doch um eine Krankheit handelt und man nicht zum Spaß jeden Morgen diverse Pillen schluckt und mittlerweile sogar einen Pillenreminder auf seinem Handy hat, da eine unregelmäßige Einnahme oder Vergessen der Einnahme fatale Folgen haben könnte. Da ich diesbezüglich (und auch in einigen anderen Hinsichten) nicht die Disziplin und Organisation in Person bin, hatte ich mir irgendwann die erstbeste App dazu runtergeladen. Ich glaube, der Inhalt ist ursprünglich englisch, denn sie schickt mir jeden Morgen folgende Nachricht: „Vergessen Sie nicht, Pillen einzunehmen!“. Was ich nach wie vor irgendwie ziemlich amüsant finde. Dann nehme ich wie befohlen meine Pillen, setze mit einem befriedigenden Gefühl zwei Häkchen, woraufhin die Pop-Up-Nachrichten verschwinden und denke meistens nicht weiter darüber nach. Doch das war nicht immer so.
Auch ohne Doktortitel…
Auch wenn es den meisten wahrscheinlich mittlerweile aufgefallen ist…ich bin weder Ärztin noch Psychiaterin noch Psychotherapeutin oder was auch immer. Alles, was ich auf meinem Blog über die medizinischen und pharmakologischen Hintergründe und Aspekte der bipolaren Störung schreibe, basiert auf dem Wissen, das ich mir über die Jahre durch Lektüre von Fachliteratur und vertrauenswürdigen Internetquellen angeeignet habe. Deswegen ist die Wahrscheinlichkeit, das ich hier absoluten Mist erzähle, zwar verschwindend klein (abgesehen davon ist das nicht meine Intention), aber trotzdem finde ich es wichtig zu erwähnen. Selbst wenn ich hier also keine Garantie auf wissenschaftliche Vollständigkeit verspreche, braucht ihr euch trotzdem keine Sorgen machen, denn alles was ich diesbezüglich hier schreibe, habe ich nach bestem Wissen und Gewissen recherchiert und bin mittlerweile über die Jahre tatsächlich zur Expertin meiner Erkrankung geworden. Ein überaus wichtiger Punkt übrigens, was einen guten Umgang mit der eigenen Erkrankung angeht. Nicht zuletzt weil die Akzeptanz einer Sache umso mehr wächst, je besser man über sie informiert ist. Aber zurück zum Thema: Da die Menge an vertrauenswürdigen Quellen bezüglich der bipolaren Störung nicht zu verachten ist, werde ich mich in den allermeisten Fällen auf die Informationen der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen (DGBS) berufen, womit man definitiv auch immer auf der sicheren Seite sein wird.
Auf der Jahrestagung der DGBS in Hamburg, die im Herbst 2018 stattfand, habe ich unter vielen anderen tollen, informativen und hilfreichen Materialien einen Ratgeber für Betroffene und Angehörige erhalten: „Im Wechselbad der Gefühle: Manie und Depression – Die bipolare Störung“, verfasst von den Autorinnen und Autoren PD Dr. phil. Rita Bauer, Prof. Dr. med. Dr, rer. nat. Michael Bauer, Dr. med. Ulrike Schäfer, Volker Mehlfeld und Martin Kolbe. Im Abschnitt über die Behandlung der bipolaren Störung, im Unterpunkt „Vorbeugende Behandlung (Rezidivprophylaxe) findet sich der Teil, der für mein heutiges Thema wichtig ist.
Einmal ist keinmal?
Die unipolare Depression, bei der es keine manischen oder hypomanen Phasen gibt (daher „uni“ und nicht „bi“) und die, abhängig von unzähligen Faktoren und Umständen, in manchen Fällen nur einmalig im Leben des Betroffenen auftritt, kann in den meisten Fällen erfolgreich mithilfe eines Antidepressivums behandelt werden. Wenn es gut läuft, kann dieses nach einer ausreichenden Zeit der Symptomfreiheit ausgeschlichen werden, und wenn es noch besser läuft, bleibt das die einzige depressive Phase des Betroffenen und er muss nie wieder in seinem Leben Antidepressiva einnehmen. Geheilt. Das Leben kann normal weitergehen. Wenn es nicht so gut läuft, kommt die Depression (immer) wieder. Eine immer wiederkehrende Depression ohne Hochphasen nennt sich „rezidivierende unipolare Depression“, übrigens die häufigste Fehldiagnose wenn es um bipolare Störungen geht. Auch bei mir. Bei dieser wiederkehrenden Form ist die Wahrscheinlichkeit, dass nie wieder Antidepressiva zum Einsatz kommen werden, schon etwas geringer als bei der einmalig aufgetretenen unipolaren Depression.
Ich versuche das Ganze nicht zu theoretisch zu halten. Aber ich halte diese Vorinformationen für wichtig, um den Rest zu verstehen. Bei der bipolaren Erkrankung mit ihren immer wiederkehrenden Episoden handelt es sich in der Regel um eine lebenslange Erkrankung, die eine pharmakologische Langzeitbehandlung erforderlich macht. Im Klartext: Lebenslange Medikamenteneinnahme. Zur Vermeidung erneuten Auftretens von (hypo-)manischen oder depressiven Phasen werden in der Behandlung von bipolaren Störungen (anders als Antidepressiva bei den eben erwähnten „reinen“ Depressionen) sogenannte „Stimmungsstabilisatoren“ als „Phasenprophylaxe“ eingesetzt. Lebenslange Erkrankung = lebenslange Medikation. Macht irgendwie Sinn, oder?
Antibiotikum, ja bitte, Antidepressivum, nein danke!
Doch nicht allem was Sinn macht ordnen wir uns widerspruchslos unter. Ich finde, man kann nicht oft genug die Parallelen von psychischen zu physischen Erkrankungen ziehen. Auch chronischen, die vielleicht ebenfalls einer lebenslangen Behandlung bedürfen. Für diverse Krankheiten gibt es heutzutage wirksame Medikamente, die den Menschen noch vor ein paar Jahrzehnten nicht zur Verfügung standen und über deren Existenz wir froh und dankbar sind. Medikamente, mit denen Menschen mit ernsthaften Erkrankungen trotzdem ein gutes Leben führen können. Wir müssen die Pharmaindustrie ja nicht direkt komplett verherrlichen, alles hat zwei Seiten, aber manche Dinge sind einfach Fakt. Auch wenn sich wahrscheinlich jeder von uns freut, wenn er nicht auf Medikamente angewiesen ist und versucht, diese nur dann einzunehmen, wenn es eben wirklich nötig ist, denken wir glaube ich eher weniger nach, wenn wir ein Antibiotikum nehmen müssen. Es geht uns schlecht, wir wissen, dass unser Körper das gerade braucht und es ohne eventuell sogar gefährlich werden kann. Klare Sache. Nehmen wir dann halt. Oder wenn wir herz- oder zuckerkrank sind und dementsprechend dauerhaft Medikamente einnehmen oder unserem Körper zuführen müssen, was er selbst nur mangelhaft oder gar nicht produziert. Und obwohl psychische Erkrankungen wie die unipolare oder bipolare Depression in unserem Gehirn entstehen, was erwiesenermaßen ein Teil unseres Körpers und sie somit genau genommen auch eine körperliche Erkrankung ist, sieht es mit unserer Offenheit gegenüber und der Einstellung zur Einnahme von Medikamenten ganz schön anders aus. Auch hier kann ich nur für mich und Menschen, mit denen ich mich über dieses Thema austausche, sprechen.
Das war’s…
Als ich mit 20 aus dem Ausland zurück kam und meine erste schwere depressive Phase hatte, wurden mir das erste Mal in meinem Leben Antidepressiva verschrieben. Und ich fand es furchtbar. Ich dachte mir, nun ist es soweit mit mir gekommen, dass ich sogar Medikamente nehmen muss. Dann muss es ja wirklich schlimm um mich stehen. Das ist das Ende. Ich krieg es nicht mal selbst hin, dass es mir besser geht, ich bin ein Versager, das ist hoffnungslos. Im Nachhinein weiß ich natürlich, dass all diese Gedanken depressiv verfärbt waren, aber ich fand es wirklich schlimm. Ich trug die Schachtel mit den Medikamenten schon seit ein oder zwei Wochen bei mir, hatte sie aber noch nicht angefangen zu nehmen. Irgendwie muss das doch von selbst wieder weggehen, dachte ich mir, obwohl ich eigentlich keine Hoffnung hatte. Dann passierte etwas, was mich selbst ohne Depression total aus der Bahn geworfen hätte, und das war es dann. Endstation. Ich erinnere mich wie heute an den Moment, als ich morgens mit kalten nackten Füßen auf den türkisfarbenen Fliesen unseres kleinen Badezimmers in unserem Ferienhaus stand und die erste Tablette aus dem jungfräulichen Blister in meine Hand drückte. Sie kritisch betrachtete. Auf meine Zunge legte, einen großen Schluck aus dem Wasserhahn nahm und sie runterschluckte. Ich war verloren. Und daran würde keine Pille der Welt etwas ändern können.
Meine Dankbarkeit an die Pharmaindustrie, als es mir ein paar Wochen später anfing besser zu gehen, war mit Worten nicht zu beschreiben. Obwohl das bestimmt nicht wirklich an den Medikamenten lag, dachte ich mir kurz darauf.
…noch nicht mal ANNÄHERND!
Ein paar Wochen später lag ich mit einer Freundin aus Neuseeland auf meiner kleinen Matratze in meinem fast genauso kleinen Studentenzimmer in Heidelberg, kicherte mit ihr um die Wette und schmiedete die kühnsten Pläne. Das Semester hatte schon angefangen, ich bereits einen Job als Barkeeperin in einem der größten Clubs dort, wo ich mir am Wochenende bis früh morgens die Nächte um die Ohren schlug, nachdem ich mit denen unter der Woche genau das selbe getan hatte, nur auf der anderen Seite des Tresens. Ich hatte direkt Freundschaften geschlossen und stolperte von einem Highlight zum nächsten. Ich liebte mein Leben! Ich dachte ja schon, ich hätte mich in Australien frei gefühlt, aber das hier war next level! Es könnte nicht besser sein! Ich war so erwachsen und unabhängig und frei und die Stadt war wie eine riesengroße Spielwiese, einzig und allein für mich gemacht! Meine mir im Ausland erfolgreich angeeigneten liquid skills konnte ich hier ideal zum Einsatz bringen und mein Wissen vertrauensvoll an meine Mitstreiter weitergeben. Wir feierten das Leben und uns, wir tanzten bis zum Umfallen, und zwar im wahrsten Sinne, wir knutschten, egal ob Männlein oder Weiblein, wir liebten, weinten und lachten. Erinnerten und vergaßen. Schlitterten kreischend und mit roten Wangen vom heißen Mojito auf dem Weihnachtsmarkt über Europas längste, mit Schnee bedeckte und mit hunderten von kleinen Lichtern und Sternen gesäumte Einkaufsstraße. Ich wusste gar nicht wohin mit all meinen Endorphinen! So sollte es für immer bleiben!
Ich hätte den Teufel lieber an der Wand.
Nicht all zu überraschend ist die Tatsache, dass ich nach kurzer Zeit meine Medikamente wieder absetzte. So was brauchte ich doch gar nicht! Auch hier weiß ich im Nachhinein, dass es höchstwahrscheinlich eine hypomane Phase war, die im Laufe der folgenden Jahre bis zur richtigen Diagnose und der adäquaten Behandlung immer wieder durch die Antidepressiva, die ich immer wieder verschrieben bekommen würde, ausgelöst worden war. Depression, Medikamente anfangen, Hoch, Medikamente absetzen, Depression, Medikamente wieder anfangen, Hoch… Ich weiß nicht mal mehr genau, wie oft sich dieser Teufelskreis in den knapp zehn Jahren wiederholt hat. Wie oft meine Familie, meine Freunde und ich uns fragten, was plötzlich mit mir los war. Wie oft wir uns alle freuten, als es mir wieder gut, sogar sehr gut ging. Wie oft wir all das nicht verstanden und jeder auf seine Art und Weise hilflos war. Es war oft. Sehr oft.
Bin ich noch ich?
Ich wollte das ohne Medikamente schaffen. Bin ich nicht schwach, wenn ich es nicht selbstständig aus dem Tief schaffe? Wer sagt mir denn, dass ich unter Einfluss der Medikamente immer noch ich selbst bin und sich dadurch nicht nur wie geplant die Stimmung, sondern auch meine Persönlichkeit ändert? Ich gar nicht mehr ich bin? Wie soll ich überhaupt das eine vom Anderen unterscheiden? Ich stehe doch gerade ganz am Anfang meines Lebens, ich will keine Medikamente nehmen müssen! Bestimmt werde ich dann irgendwann abhängig, auch wenn die sagen, die machen nicht abhängig! Klar, Libido ist sowieso überbewertet! Wer weiß, was das für Langzeitschäden hinterlässt! Sind die überhaupt schon so lange auf dem Markt, dass so was ausreichend erforscht werden konnte? Bestimmt werde ich fett davon!
Und das war noch nicht mal die Hälfte meiner Gedanken dazu.
Sonnencreme hätte auch nichts gebracht.
Wenn es wenigstens nur die eigene Meinung wäre, mit der man sich rumschlagen müsste…aber da sind ja noch diverse und meistens gut gemeinte Ratschläge aus unserem Umfeld oder auch von Ärzten und Therapeuten. Leider überdurchschnittlich oft gut gemeint und schlecht gemacht. „Du brauchst doch keine Medikamente, du bist so ein positiver Mensch, du schaffst das auch so“, habe ich mehr als nur einmal gehört. Meistens war es tatsächlich Liebe und der Glaube an mich, der daraus sprach, einfach der Wunsch, dass es mir wieder besser ginge. Aber manchmal war es auch die Angst. Angst vor dem Unbekannten. Lieber in keiner Form etwas mit psychischen Erkrankungen zu tun haben. Nicht erkennen oder akzeptieren zu können, dass ein nahe stehender Mensch damit zu kämpfen hat und Hilfe braucht. Aus der eigenen Angst heraus. Deswegen erstmal lieber so tun, als wäre das alles gar nicht da. Vielleicht geht es dann ja von selbst weg. „Frau Waldherr, Sie sind nicht depressiv, Sie sind einfach nur hochsensibel. Das ist nichts wofür Sie Medikamente brauchen.“ Die Worte meiner Therapeutin, bei der ich drei Jahre in Behandlung war. Der ich jede Woche von meinem Leben, meinen Auf’s und Ab’s berichtet habe. Was habe ich mich gefreut, als sie mir das sagte. Mit mir war doch alles in Ordnung! Ich war einfach nur hochsensibel! Für die Erkenntnis hätte ich sie zwar gar nicht gebraucht, aber egal! Ha! Ich war nämlich eben doch niemand, der Medikamente brauchte, endlich hatte es jemand richtig erkannt! Ich war nämlich gar nicht krank! Ein paar Wochen nach meiner letzten Sitzung im Frühjahr schlitterte ich mit Hochgeschwindigkeit in eine hypomane Phase, die mir über mehrere Monate den Sommer meines Lebens bescherte. Den verheerenden und unerträglichen Sonnenbrand spürte ich erst im Herbst. Dafür mit einem Schlag und so vernichtend, dass ich dachte, jetzt kann ich wirklich nicht mehr. Medikamente. Pünktlich zum nächsten Frühjahr verschwand er. So als wäre nichts gewesen. Machte Platz für den nächsten.
Weißer Kittel hin oder her!
Vielleicht hätte ich auf mein Gefühl hören sollen, als ich diesen kleinen hässlichen Zen-Garten in ihrem Wartezimmer sah. Sie ist die einzige Person, der ich je Vorwürfe gemacht habe bezüglich eines Erkennens meiner bipolaren Störung. Sie als Therapeutin, die mich jede Woche gesehen und mit mir gesprochen hat, hätte das meiner Meinung nach erkennen müssen. Auch wenn die Diagnose schwierig sein mag. Alle anderen konnten es nicht wissen. Vor kurzem sprach mich mein Hausarzt, der neu in der Praxis war und mich davor genau einmal zu einer Rezeptübergabe gesehen hatte, nach einem kurzen arrogant-gelangweilten Blick auf seinen Computer auf meine Medikation an und fragte mich, ob ich schon mal daran gedacht hatte, es mit Lithium zu versuchen. Ein Medikament, das vor allem bei der Behandlung von manischen Phasen der Bipolar-1-Störung das erste Mittel der Wahl und diesbezüglich höchst wirksam ist. Bei einer Bipolar-2-Störung mit überwiegend depressiven Phasen ist es das definitiv nicht. Ich möchte damit nicht sagen, dass es immer so sein muss, aber leider gibt es viele Idioten. Da helfen dann leider leider auch Doktortitel und weißer Kittel nichts, dem ich früher so blind vertraut hätte. Und die können mit ihrem Unwissen viel Schaden anrichten. Also hört nicht auf zu suchen, bis ihr jemanden gefunden habt, dem ihr wirklich vertraut und von dem ihr das Gefühl habt, in professionellen Händen zu sein. Informiert euch, hinterfragt und seid kritisch! Es sind euer Körper und euer Leben, die dadurch beeinflusst werden. Nach einem meinerseits nicht minder arrogant-gelangweilten fünfminütigen Vortrag über verschiedene Stimmungsstabilisatoren, deren Vor- und Nachteile sowie Wirkmechanismen im Gehirn und dem Vorschlag, dass er sich doch bitte nicht in Bereiche einmischen soll, von denen er keine Ahnung hat und mir stattdessen lieber mal kurz ins Ohr schauen soll, das tue nämlich weh, war die arrogante Ausstrahlung meines aalglatten Hausarztes dann auch ganz fix verflogen.
Genug ausprobiert.
Nachdem ich während meines Klinikaufenthaltes Ende 2017 die Diagnose und damit endlich auch erstmalig die richtige Medikation erhalten hatte, stellte ich die medikamentöse Behandlung nie wieder infrage. All die Jahre hatten mir gereicht. Die bipolare Störung ist eine Krankheit, die mich mein Leben lang begleiten wird. Wie immer bestätigen sicher Ausnahmen die Regel, aber Forschung und Statistik sprechen eine ziemlich eindeutige Sprache. Die Rückfallrate ohne medikamentöse und auch psychotherapeutische Begleitung ist immens hoch. Es wird im Zusammenhang mit der bipolaren Störung nicht von Heilung gesprochen. Sondern von einer möglichst langfristigen Stabilisierung der Stimmungslage durch Phasenprophylaxe. Mit möglichst selten auftretenden neuen Episoden. Zu einem positiven Verlauf der Erkrankung tragen natürlich in erheblichem (und vielleicht sogar genau so großem oder größeren?) Maße noch diverse andere Faktoren wie Lebensführung, Stressreduktion, etc. bei, über die es bei Zeiten auch einen Artikel geben wird.
Ja, es gibt Cooleres und bestimmt auch Einfacheres, als sich als junger Mensch in der Akzeptanz zu üben, den Rest seines Lebens auf Medikamente angewiesen zu sein. Aber hat ja auch niemand behauptet, dass alles immer cool und einfach wäre. Abgesehen davon gibt es definitiv auch weitaus Schlimmeres. Ich weiß mittlerweile auch ohne Statistik, Forschung und weiße Kittel, was passiert, wenn ich meine Medikamente nicht nehme. Und ich habe nicht vor, diese Antwort jemals wieder herauszufordern.
Ich habe mich nicht für oder gegen ein Medikament entschieden.
Ich habe mich für’s Leben entschieden.
Der genieale Autor und Dozent für kreatives Schreiben namens „David Foster Wallace“ war selbst ein Betroffener und hat ein Buch darüber geschrieben: „Der Planet Trillaphon im Verhältnis zur Üblen Sache“. Unbedingt lesenswert.
Er ist auf eine Therapie umgestiegen, die weniger Nebenwirkungen haben sollte, aber es hat bei ihm nicht gewirkt, so ging er zurück auf sein altes Medikament und auch dies wirkte plötzlich bei ihm nicht mehr.
Im Alter von 46 Jahren erhängte er sich in einer Phase schwerster Depression. Ich hab das Buch von meiner Schwester empfohlen bekommen, die selbst betroffen ist und ich habs auch gelesen.
Eine bipolare Strörung ist wirklich nicht auf die leichte Schulter zu nehmen und ich rate jedem Betroffenen bei seinem wirksamen Medikament zu bleiben. Es ist mit Medikament nicht leicht, weil es vielleicht die Emotionen teilweise unterdrückt, aber ohne Medikament ist es fast unmöglich normal zu leben.
Ich bestärke dich also, dass du dich fürs Leben entscheidest und dein Leben ist wertvoll, denn wenn ich deine Texte lese, weiß ich dass du vielen Betroffenen helfen kannst, in den Hochphasen sogar kreative lyrische Texte schreiben kannst, abseits deines Leidens.
Aber schonmal toll dieses Blog. Respekt. Ich hoffe, dass ich hier noch viel lesen werde, um auch meine Sis besser zu verstehen. Ich selbst führe ja nur ein Blog mit Lyrik oder was sich so nennt. Wenn du möchtest, schalte ich dich dafür frei.
LG Sven 🙂
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Lieber Sven,
ich habe mich wirklich sehr über deine Nachricht gefreut, vielen Dank dafür! Rückmeldungen dieser Art, von Betroffenen oder Angehörigen, bestärken mich immer wieder darin, weiter zu machen und zeigen mir, dass ich mit dem, was ich tue, tatsächlich anderen Menschen helfen kann. Und wenn vielleicht nur ein kleines bisschen. Jede Kleinigkeit und jede Person, die dadurch erreicht wird, zählt und genau das war von Anfang an meine Intention, diesen Blog ins Leben zu rufen. Also vielen Dank dafür!!
Ich kenne David Foster Wallace vom Hören, habe aber noch kein Buch von ihm gelesen. Ich habe es mir aber direkt bestellt jetzt 🙂 Danke für den Tipp!
Und ja, bei den Medikamenten mit ihren teilweise nicht zu verachtenden Nebenwirkungen ist es aber immer eine Abwägung, inwiefern all das im Verhältnis steht und ob man sie in Kauf nehmen kann, wenn man durch sie zumindest ein weitestgehend „normales“ und stabiles Leben führen kann.
Ich freue mich, wenn ich dir durch meine Texte dabei helfen kann, deine Schwester besser zu verstehen. Wenn du einmal spezielle Fragen haben solltest, kannst du mir auch jederzeit eine persönliche Nachricht schreiben. Und auch Themenwünsche für folgende Blogartikel nehme ich immer gerne entgegen!
Eine Anfrage für deinen Blog habe ich dir geschickt.
Liebe Grüße aus Hamburg,
Lisa
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