Hält es das aus?

Und damit meine ich nicht den Ast, an dem die Schaukel hängt…
In Anknüpfung an den letzten Artikel soll es heute mal nicht um die Betroffenen einer bipolaren Störung gehen. Sondern um die Menschen, die ihnen am nächsten stehen. Familie, Freunde, Partner. Denn eine psychische Erkrankung, nicht nur die bipolare sondern jegliche Formen, hat nicht nur diverse Auswirkungen auf die Betroffenen selbst, sondern immer auch unausweichlich auf deren Angehörige. Und diese stellen sowohl die eine als auch die andere Seite vor Herausforderungen von erheblichem Ausmaß.
Diese Thematik ist so umfangreich, dass es schwer fällt, sie einzugrenzen. Außerdem ist sie so sensibel und verletzlich, dass sie einer besonderen Feinfühligkeit bedarf, die ich hoffe, in meinen folgenden Worten wahren zu können. Bevor es im nächsten Artikel um den allgemeinen Umgang mit der Erkrankung in unseren zwischenmenschlichen Beziehungen gehen wird, vor allem auch nachdem alle Beteiligten durch eine Diagnosestellung wissen, mit was sie es da zu tun haben, möchte ich euch heute einen Eindruck der Zeit lange (über 10 Jahre) vor meiner Diagnose und teilweise auch vor meiner ersten hypomanen Phase geben und welchen Einfluss all das auf unsere Familie hatte.
Je nach Lebensalter und -phase werden unterschiedliche Bereiche des sozialen Umfelds in erster Linie betroffen sein. Bei einem Kind oder jungen Erwachsenen wird das in den meisten Fällen die Familie, die Eltern, die Geschwister, vielleicht Tanten, Onkel oder Großeltern sein. Je nach Qualität und Intensität der familiären Situation aber vielleicht auch eher der eigene Freundeskreis. Im Erwachsenenalter dann oft vermehrt der Lebens- oder Ehepartner und gegebenenfalls die eigenen Kinder.
Erwachsenwerden ist nicht leicht
Bei mir persönlich waren vor allem meine Eltern und jeweiligen Partner betroffen. Irgendwann auch engste Freunde. Heute wird es um meine Familie gehen. Die erste depressive Episode, an die ich mich erinnern kann, erlebte ich mit 14 Jahren. Ich erinnere mich dunkel daran, dass ich jeden morgen aufwachte und einfach nur weinte. Eine diffuse Angst vor Allem hatte. Und so überhaupt gar nicht wusste, was eigentlich los war. Nur, dass ich so noch nie zuvor gefühlt hatte und sich das ganz und gar nicht gut anfühlte. Dass da gerade irgendwas gehörig schief lief. Und ich nicht wusste was. Als ich eines Abends wie ein kleines Kind auf dem Schoß meines Vaters saß und mich mal wieder scheinbar grundlos in Tränen auflöste, versuchte er mich zu trösten und sagte immer wieder, dass Erwachsenwerden nicht leicht sei. Er meinte es gut. Und so versuchten sowohl ich als auch meine Eltern uns meine damals noch relativ selten, aber doch immer wieder auftretenden und aus dem Nichts kommenden Tiefphasen eine gewisse Zeit lang mit den Schwierigkeiten, die so eine Pubertät eben so mit sich bringt, zu erklären. Da war ich ja schließlich nicht die Einzige.
Wenn Liebe an ihre Grenzen stößt
Die erste schwere Depression erwartete mich auf den letzten Metern meines einjährigen Work & Travel-Aufenthalts in Australien, Neuseeland, Bali, Fiji und Singapur (https://tanzzwischendenpolen.com/2019/09/24/nicht-jedem-anfang-wohnt-ein-zauber-inne/). Eben noch über den Wolken geschwebt schlug ich ungebremst auf der Erde auf. Point of no return. Heute weiß ich, dass ich einen Großteil meiner Zeit, die ich alleine auf der anderen Seite der Welt verbrachte, wo ein Abenteuer das nächste jagte, ich zum ersten Mal in meinem Leben exzessiv feierte und trank, und jeden Tag so viel Neues auf mich einstrudelte, dass ich mit dem Verarbeiten überhaupt nicht hinterher kam, in hypomanen Sphären schwebte. Es ist die erste hypomane meines Lebens. Ich kann nicht sicher sagen, ob es sich in meiner Jugend „nur“ um eine unipolare rezidivierende Depression (meine falsche Diagnose über zehn Jahre hinweg) handelte und erst im Alter von 19, als meine Reise zu Ende ging, in die Bipolarität schwappte, oder ob ich es schon immer war. Ich kann mich allerdings an keine hypomanen Phasen davor erinnern. Erinnern kann ich mich allerdings an den Moment, in dem meine Mutter in sich zusammengesackt und mit Tränen in den Augen vor mir saß und sagte, dass sie Angst habe, ihr Kind zu verlieren. Weil keiner mehr Zugang zu mir fand. Ich am allerwenigsten. Es tat mir so weh, sie so hilflos zu sehen. Fühlte mich dabei selbst so hilflos. Und es machte mir eine riesen Angst, als ich realisierte, dass meine Eltern, die mir doch bisher immer in jeder Lebenslage helfen konnten und mich allein durch ihren bedingungslosen Rückhalt und ihre Unterstützung bereits besser fühlen ließen, plötzlich auf Grenzen stießen.
Ich sehe, dass du gerade lügst.
Dass sie eben nicht allmächtig waren. Wie man es als Kind und vielleicht auch junger Erwachsener tatsächlich vermutet, hofft und auch lange glaubt. Dass es selbst durch ihre Anwesenheit, ihre Fürsorge und ihren Trost nicht besser werden würde. Wie es das bei Liebeskummer tat. Oder einem aufgeschürften Knie. Oder einer verkackten Klausur. Dass jede noch so tiefe und bedingungslose Liebe plötzlich einfach nicht mehr reichte. Die Macht, die ihr sonst inne lag, einfach von heute auf morgen komplett verloren hatte. So oft dachte ich in diesen Momenten: „Wenn mir selbst das nicht mehr helfen kann, dann bin ich wirklich verloren. Was soll mir dann noch jemals helfen, um mich wieder besser zu fühlen?“ Es war nicht nur ein Gedanke, es war ein Gefühl. Ein so schwarzes, schweres und hoffnungsloses Gefühl, dass sich an meinen Körper klebte wie ein nasser Neoprenanzug, der viel zu klein war. Den ich mit eigener Kraft nicht ausziehen konnte. Und kein anderer. In meiner tiefsten Verzweiflung fragte ich meine Mama oft wie ein kleines hilfloses Kind, das noch niemals etwas von Selbstvertrauen gehört hatte: „Mama, versprichst du mir, dass das hier vorbeigehen wird?“. Jedes Mal sprachen ihre Lippen das Versprechen aus.
Doch die Sorge in ihrem Blick sprach eine andere Sprache.
Na dann. Prost!
Wie sie gelitten haben mussten, als von dem neugierigen, aufgeregten und lebenshungrigen Kind, das sie vor einem Jahr zum Flughafen gebracht hatten, lediglich eine leere Hülle zurückkam. Wie traurig sie aussahen, als sie den Frühstückstisch im Urlaub kurz nach meiner Ankunft so schön gedeckt und Sekt eingeschenkt hatten, um mit mir auf die Zulassung zu meinem Studium an der Uni Heidelberg anstoßen wollten, die an diesem Tag ankam. Die Zulassung, die ich meiner Mutter zu verdanken hatte, da sich die Immatrikulationsbedingungen geändert hatten, als ich im Ausland war und sie sich um das ganze komplizierte Verfahren gekümmert hatte. So Sorge gehabt hatte, dass sie etwas falsch macht und ich deswegen nicht angenommen werden würde. Jeden Tag über Wochen ganz aufgeregt den Stand auf der Internetseite gecheckt hatte. Voller Erleichterung und Stolz vor mir saß und mir voller aufrichtiger und reiner Freude ihr Sektglas zum Anstoßen entgegenstreckte. Sich in mir kein Gefühl regte. Es hätte mir nicht egaler sein können. Meine Zukunft lag vor mir wir ein endlos tiefes schwarzes Loch, das nur darauf wartete, mich zu verschlingen. Wenn mich bis dahin nicht schon das eben so schwarze Loch meiner Vergangenheit oder meiner Gegenwart erwischt haben würde, versteht sich. Ich hob träge mein Glas und kippte den Sekt in mich rein. Sah die Enttäuschung in ihren Augen. Es tat mir so unfassbar Leid. Ich sollte mich mit ihnen freuen. Ich sollte mich gefälligst freuen! Ich hatte verdammt noch mal allen Grund dazu! Was stimmte denn nicht mit mir??! Sie waren die besten Eltern, die man sich wünschen konnte. Hatten mein Leben lang alles nur erdenkliche für mich getan. Liebten mich so bedingungslos, ganz egal, was ich tat. Unterstützten mich in jeder Lebenslage. Und was tat ich? Ich war einfach nur undankbar. Ich war ein schlechter Mensch. Ich hatte auf ganzer Linie versagt. Der Schmerz, den ich bei diesen Gedanken empfand, war vernichtend. Und endgültig.
Und da schloss sich das Loch über mir.
Liebe Lisa,
ich lese gerade zum ersten Mal sehr interessiert in deinem Blog. Wir beide befassen uns mit dem gleichen Thema und das freut mich, weil es wichtig ist. Wie ich lese studieren wir auch noch ähnliche Fächer, nur an unterschiedlichen Universitäten. Bei diesem Beitrag musst ich etwas schmunzeln, selbstverständlich ohne damit den Ernst des Textes in Frage zu stellen. Auch ich hatte bei einem Schüleraustausch in Australien mit 19 die erste (nach Außen) auffällige Episode – allerdings eine manische. Dass sich unsere Geschichten an dieser Stelle so ähneln liegt wohl daran, dass viele junge Menschen gerne nach Australien möchten und Fernreisen die Phasen triggern – es ist also statistisch wahrscheinlich. Dennoch war es gerade (positiv) schräg für mich zu lesen. Mich hast du nun als Leserin gewonnen. Viele Grüße, Laura
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Liebe Laura,
ich habe mich sehr über deine Nachricht gefreut und natürlich direkt auf deinen Blog geschaut und deine bisherigen Artikel gelesen, in denen ich mich auch in vielerlei Hinsicht wiedererkannt habe. Kaffee! Wichtiges Thema 😀 Mir geht es da genau so wie dir und obwohl ich schon seit 2,5 Jahren keinen Alkohol mehr trinke und tatsächlich erstaunlicherweise das Rauchen aufgeben konnte, ist Kaffee nach wie vor heilig! Ich trinke viel weniger als früher, aber trotzdem würde mich mal interessieren, welche Auswirkungen Koffein tatsächlich auf vor allem manische und hypomane Episoden hat. Glaubst du, bei dir war Kaffee schon mal wirklich mit verantwortlich für die Auslösung einer Episode? Wenn ich die letzten Jahre so Revue passieren lasse, scheint mir das irgendwie gar nicht so unwahrscheinlich. Zumindest weiß ich, dass exzessives Rauchen und Kaffeetrinken definitiv schon die ein oder andere Panikattacke begünstigt hat. Und ich trotzdem selbst währenddessen fleißig weitergeraucht hatte. Ja, die gute Sucht…
Ich finde es total schön, dass auch du über die bipoläre Störung schreibst, denn es ist so wichtig. Wie interessant, dass du deine erste Phase auch nach einem Auslandsaufenthalt hattest! Was meinst du, was genau die Triggerfaktoren diesbezüglich sind?
Ich freue mich sehr, mit dir eine neue Leserin gewonnen zu haben und gebe das direkt mal zurück! Deinen neuen Artikel von heute habe ich bereits gelesen!
Auf einen bereichernden Austausch!
Ganz liebe Grüße aus Hamburg!
Lisa
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