Erwart doch einfach mal ab!

Bildquelle: Lisa C. Waldherr

Dieser Text soll keine Hommage an die Etablierung einer generellen Anspruchs- oder Erwartungslosigkeit sein. Ich denke, es ist wichtig und richtig, dass wir Menschen Ansprüche haben. Und Erwartungen.

Während ich meinen Text hier geschrieben habe, ist mir (am Ende) aufgefallen, dass die Übergänge zwischen den Begrifflichkeiten „Ansprüche“ und „Erwartungen“ fließend sind. Ich hoffe, dass dadurch keine allzu große Verwirrung entsteht, aber ich werde im folgenden Text beide Wörter benutzen.

Ansprüche an uns selbst können uns zu Leistungen anspornen, die uns zufrieden machen, mit denen wir uns gut fühlen. Auch zu Höchstleistungen, wenn wir das denn wollen. Ansprüche führen dazu, dass wir uns Mühe geben, um etwas so gut oder schön zu gestalten, wie wir es uns vorstellen. Verhindern Gleichgültigkeit. Ansprüche beeinflussen die Wahl unserer Freund- und Partnerschaften, sie entscheiden darüber, wer in unser Leben und wer uns nah sein darf. Ansprüche lassen uns Dinge erreichen, die wir begehren oder uns schon lange gewünscht haben. Unsere ganz individuellen Ansprüche, die wir an uns selbst oder auch an andere stellen, sagen unglaublich viel über uns als Menschen aus. Denn sie sind unmittelbar und unwiderruflich verbunden mit unserem persönlichen Wertesystem, ja, auch mit unserer Moral. Ist Ehrlichkeit keine Eigenschaft, die für uns in unseren Beziehungen einen hohen Wert hat, so werden wir bei der Wahl unserer Freund-/innen und Partner/innen wohl kaum einen Anspruch auf Ehrlichkeit stellen. Und genau so wenig wären wir dementsprechend enttäuscht, wäre dieser Jemand nicht ehrlich zu uns.

Schwierig kann es dann werden, wenn unsere Ansprüche an Dinge oder Menschen zu hoch sind. Wieso? Wer überhaupt zieht die Grenze zwischen „angebracht“, „zu niedrig“, „zu hoch“?
Je höher die eigenen Ansprüche, desto besser die aus ihnen erbrachte Leistung, oder nicht? Das mag in manchen Fällen stimmen. Aber was passiert, wenn der eigene Anspruch zwar sehr hoch war, aber die daraus resultierende Leistung trotzdem, aus welchen Gründen auch immer, nicht mal annähernd diesem Anspruch gerecht wird. In keiner Relation steht. Dann wird es ungemütlich.
Denn je höher unsere Ansprüche sind, ob nun an uns selbst, eine Sache oder einen anderen Menschen, desto enttäuschter sind wir, wenn wir selbst, diese eine Sache oder dieser eine Mensch nicht so funktionieren, nicht so abliefern, nicht so gefallen, wie wir das erwartet haben.
Und hier kommt die Erwartung mit ins Spiel.

Letzten Endes sind Ansprüche eng verknüpft mit Erwartungen, manch einer würde sie vielleicht auch als Synonyme einordnen. Das kann die Erwartung an eine Sache, vielleicht an ein Geschehen sein, unsere ganz eigene Vorstellung, die unser Gehirn bis ins kleinste Detail immer und immer wieder in den schillerndsten Farben durchspielt, bevor besagte Sache oder das Geschehen überhaupt eingetreten ist, bevor sie vor uns steht, bevor wir sie in den Händen halten. Während wir noch warten sozusagen. Erwarten.

Das Traurige und Tückische an zu hohen Erwartungen ist meiner Meinung nach, dass sie uns die Unvoreingenommenheit, die Bedingungslosigkeit, unsere Objektivität und Offenheit nehmen. Eine Messlatte setzen, die erreicht oder am Besten sogar übertroffen werden soll. Wird sie das nicht, sind wir enttäuscht. Das hatten wir uns aber anders vorgestellt. Das hätte besser sein können. Das könnte man noch optimieren. Das ist nicht ganz ideal so. Ein persönliches oder gesellschaftliches Ideal, das nicht erfüllt wurde.

Wieso haben wir verlernt, die Dinge „einfach“ auf uns zukommen zu lassen? Liegt es überhaupt in der Macht des Menschen, völlig unvoreingenommen abzuwarten, anstatt immer nur zu erwarten? Abwarten, was passiert und sich dann ein Bild davon zu machen, ohne dieses schon im Vorhinein zu skizzieren? Haben wir keine Erwartungen, so können diese auch nicht enttäuscht werden, ganz egal wie eine Sache letzten Endes abläuft oder ausgeht. Wie sich ein Mensch verhält, wie er ist. Es gäbe keinen Maßstab, an dem etwas gemessen werden würde, keine Bewertung, kein Abwägen, keine Noten.

Würde es helfen, wenn wir, in Angesicht der Illusion und auch der Ablehnung von völliger Anspruchs- und Erwartungslosigkeit, diese im Zaum, sie niedrig halten könnten? Uns dann umso mehr freuen, falls sie übertroffen werden? Und uns genau so freuen, wenn sie einfach nur erfüllt werden? Gute Frage. Abwarten und Tee trinken.

1 Comment »

  1. Liebe Lisa!
    Interessante Gedanken hast du da bei mir angestoßen. Ich bin gerade Wandern, ohne Plan, folge dem Weg, übe mich quasi in Erwartungslosigkeit. Ich merke wie vieles von mir abfällt, ich mich entspanne, ich wieder die kindliche Fähigkeit entdecke im Moment zu leben. Aber ich denke auch über meine Träume nach. Auch irgendwie Erwartungen an das Leben, oder? Ich mag Träume und Hoffnungen. Ohne sie wäre das Leben trist. Brauchen wir vielleicht eine andere Kultur des Scheiterns? Und eine Gleichzeitigkeit des Jetzts mit der Hoffnung? Viele liebe Grüße aus Spanien, Elisabeth

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