Shades of Grey muss nicht sexy sein.

Bildquelle: Lisa C. Waldherr

Abgesehen davon, dass ich den Roman nie sexy fand. Nicht mal ansatzweise. Ich hatte mit der deutschen Version angefangen und war schockiert von diesem literarischen Desaster. „Sex and the City“ kann man ja in der Synchronisation auch nicht ertragen, dachte ich mir und versuchte es nochmal mit der Originalfassung, aber auch die machte es nicht besser. Im Gegenteil. Als ich meine immer stärker werdende Aggression über den Begriff „my inner goddess“ nicht mehr zurückhalten konnte, schmiss ich das Buch in die Ecke und rührte es nicht mehr an, bevor ich es entsorgte. Fremdschämen Deluxe. Aber darum soll es hier heute nicht gehen.

Grau ist nicht gleich grau

Wo fange ich an, wo höre ich auf? Diese Frage, die sich mir immer wieder auf’s Neue bezüglich meiner Blogeinträge stellt, könnte ich genau so gut auf meine Stimmungen beziehen. Wo fängt eine depressive Phase an, wo hört sie auf? Wann legt die Hypomanie los, wann ist sie vorbei? Obwohl genau das eines der Hauptsymptome einer depressiven Episode ist, Schwarz-Weiß-Denken, ist sie nie nur das. In einer Depression gibt es unzählig viele Grauabstufungen, alle hellen Farben sucht man dort allerdings vergeblich, so viel ist sicher. Shades of Grey. Was die grauen Schatten bei der Depression sind, sind in einer Hypomanie die kräftig leuchtenden Farben eines Regenbogens, so strahlend hell und grell, dass man seine Augen mit einer Sonnenbrille schützen muss, um nicht zu erblinden. Blind vor Schönheit.

Ich packe meinen Notfallkoffer und vergesse, mitzunehmen…

Keine Depression ist wie die andere, keine Hypomanie verläuft genau nach den gleichen Mustern. Sowohl unter verschiedenen Menschen als auch bei den eigenen Phasen. Es gibt zwar die so genannten Frühwarnzeichen, für die sie einen in der Klinik und Therapie versuchen, zu sensibilisieren und einem einen „Notfallkoffer“ an die Hand geben, damit man dem ganzen Übel noch entgegenwirken kann, bevor es sich nicht mehr aufhalten lässt. Und was ist, wenn ich trotz aller Sensibilisierung ausversehen mal wieder die falschen Klamotten eingepackt habe, mit denen ich dann gar nichts anfangen kann? Bikini im Skigebiet macht eine ähnlich schlechte Figur wie Schneeanzug auf einer Südseeinsel. Ist fast wie Blind Booking. Du hast dein Gepäck schon eingecheckt, weißt aber nicht, wohin dich die Reise bringen wird.

Und da ist sie wieder…

Ich sitze in der 25 und bin auf dem Weg nach Hause. Draußen ist es schon wieder dunkel und es pisst schon den ganzen Tag. Und den Tag davor. Und den Tag davor. Ich komme gerade aus der WG meiner besten Freundin und hatte eigentlich einen schönen Abend. Nicht nur eigentlich. Er war schön. Und trotzdem überfällt mich schlagartig eine so tiefe Traurigkeit, als ich im Bus sitze und durch das Fenster den vorbeifließenden Verkehr beobachte, dass ich mich für einen Moment komplett machtlos fühle. Die Lichter der Autos verschwimmen vor meinen Augen als mir die Tränen über’s Gesicht laufen. Früher hätte ich dagegen angekämpft. Mittlerweile lasse ich es „einfach“ zu. Von einem freudigen Begrüßen und Willkommenheißen, wie es einem in mancher Achtsamkeitsrunde empfohlen wird, bin ich zwar weit entfernt, aber man muss es ja auch nicht gleich übertreiben. Früher war es mir peinlich und unangenehm, wenn ich in öffentlichen Verkehrsmitteln in Tränen ausbrach. Oder auf öffentlichen Plätzen. In öffentlichen Toiletten. Und es gibt definitiv Menschen, die seltener als ich in der Öffentlichkeit in Tränen ausbrechen. Heute ist mir auch das nicht peinlich, ich fühle mich nicht mal beobachtet. Werde ich schlicht und ergreifend tatsächlich auch nicht, weil alle anderen Zombies sowieso auf ihr Handy glotzen. Wenn sie nicht gerade dabei sind, sich gegenseitig umzurempeln, weil es sich mit Blick nach unten so schlecht geradeaus schauen lässt.

Ich könnte in diesem Moment den Ursprung meiner Traurigkeit nicht benennen. Vielleicht am Tag danach. Vielleicht aber auch nicht. Eines der Phänomene, die jene Menschen, die bereits eine oder mehrere Depressionen in ihrem Leben durchlebt haben, von dem ganzen Rest unterscheidet. Wobei „ganz“ hier auch mit Vorsicht zu genießen ist. Ohne schlechte Stimmung machen zu wollen (hab ich eh schon), es werden immer mehr. Psychisch gesunde und stabile Menschen sind genau so mal traurig oder haben weniger gute Tage, aber für Ersteres haben sie im Gegensatz zu Depressiven meist einen mehr oder wenigen triftigen Grund und im zweiten Fall sind sie im Idealfall auch oft einfach nur eine Frau und wissen, dass es bald vorbei ist, ziehen sich die PMS-Playlist von Spotify (gibt es wirklich) und allerhand Süßes und Fetthaltiges rein.

Ich bin „einfach“ nur traurig. Und zwar bodenlos. Ohne Grund. Obwohl doch eigentlich gerade alles gut ist (ist es dann oft auch doch nicht, wenn man nochmal genau darüber nachdenkt). Auch diesen Gedanken konnte ich nach harter Arbeit an mir selbst und vielen Rückschlägen langsam loslassen: Selbst wenn gerade alles, wirklich alles, gut ist, nicht nur augenscheinlich, sondern so ganz wirklich, auch dann bin ich nicht sicher vor dem grauen Schleier, der mir manchmal im Vorübergehen übergeworfen wird und meinen Tagen urplötzlich jegliche Farbe und Lebendigkeit, Freude und Leichtigkeit entzieht. Mit der Kraft eines Turbostaubsaugers. Mit dem kleinen Haken, dass ich nicht einfach den Staubsaugerbeutel entleeren und sorgfältig die Scherben meines Ichs und was davon übrig bleibt, wieder zusammensammeln kann. Es kann sein, dass der Beutel längere Zeit verschlossen bleibt. Oder auch kürzer, wenn ich Glück habe.

Gedankenzähmen „leicht“ gemacht?

Bis dahin bleibt mir manchmal einfach nur die Wahl, mich gegen diesen Zustand, den ich bereits kenne, zu wehren, mir Vorwürfe zu machen, die Situation noch vernichtender zu bewerten, als sie es sowieso schon ist und dadurch endgültig auf die Abwärtsspirale in meinem Kopf aufzuspringen. Oder ich versuche, wie ich es gelernt habe, eine gewisse Distanz zwischen meinen Gedanken, meinen Gefühlen und mir zu schaffen, diesen ihren Raum geben und sie „achtsam“ zu akzeptieren. Darauf vertrauend, dass es wieder besser werden wird.

Ich bin sehr froh und dankbar, dass ich durch die intensive Auseinandersetzung mit meiner Krankheit, all den Fortschritten und Rückschlägen, dem vielen Lernen und Erfahren mittlerweile tatsächlich so etwas wie eine Wahl habe. Manchmal. Nicht immer. Auch das ist ein Lernprozess, der Zeit braucht. Aber die gute und für Betroffene hoffentlich Hoffnung machende Nachricht ist: Man kann es lernen.

Mittlerweile bin ich in meinem Stadtteil angekommen, ich fühle mich immer noch traurig, aber nicht mehr machtlos. Meine Wimperntusche ist verschmiert, aber die Tränen sind getrocknet. Mir ist nach Bewegung. Scheiß Regen. Mir egal. Heiße Schoki to go, ja, ohne umweltfreundlichen Bambusbecher heute, und im Regen warm eingepackt noch ne Runde an die Elbe. Selbstfürsorge. Auch das lässt sich lernen. Gute Nachricht: Ist ein bisschen leichter als das mit den Gedanken. Und macht mehr Spaß.

Herzlich Willkommen!

Als ich später die Treppen zu meiner Wohnung hochstapfe, mit meiner Traurigkeit im Schlepptau sowie in Einklang und müde, fällt mein Blick auf die Schiefertafel meiner Nachbarn, auf der „Willkommen bei Familie Schopner“ steht. Na wenn Familie Schopner jeden so herzlich willkommen heißt, können die das ja, ganz nach alter Achtsamkeitsmanier, gerne auch direkt mit meiner Depression machen und ich kann sie einmal hier lassen, denke ich mir im Vorbeigehen und muss schmunzeln.

11 Comments »

  1. Vielen Dank, liebe Lisa, für diesen Beitrag. Es ist so wichtig, dass du diesen Blog schreibst.
    Du erklärst den Unterschied zwischen Traurigkeit und Depression so bildlich und plastisch, dass es wirklich jedem einleuchten kann. Wörter wie „grundlos“, „ohne Boden“ lassen mich tief nach unten blicken, wo nichts mehr ist, keine zeitliche oder räumliche Begrenzung. Ich spüre hinein in diese Situation und merke, dass Angst hochsteigt. Aber dann lese ich, wie du selbst die Treppen hoch steigst und am Türschild der Nachbarn dieses Gefühl abgibst und dabei schmunzelst.
    Ich habe oft erfahren, dass mich die körperliche Bewegung aus einer akuten Krisensituation sprichwörtlich herausführt. Indem mein Körper schon mal „macht“, erobert er quasi vorauseilend für den Rest des Systems (Psyche/Seele) neuen Raum. Er sagt zum Kopf: „Mach du ruhig Pause, ich geh schon mal vor und mach die Arbeit, dann hole ich dich nach.“ Mit jedem Schritt holt er sich „den Boden unter den Füßen“ zurück. Dieses Erlebnis wirkt dann wie eine positive Bestätigung. Wie ein „hallo, Land in Sicht, Rettung naht“.

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  2. Nun scheint es zu klappen mit dem kommentieren, liebe Lisa, und das will ich doch gleich nutzen. Es ist total spannend was du da schreibst! Eine gute Freundin von mir lebt seit vielen JAhren mit der Diagnose „Bipolare Persönlichkeitsstörung“ und ich habe mich ständig gefragt, wie diese es im ihrem Kopf aussieht wenn sie 5 Tage nicht ans Telefon geht und ich weiss das sie zu Hause die Wand anstarrt. Oder wenn wir einen tollen Abend haben und sie plötzlich anfängt über Stunden zu weinen. Ich habe viel mit ihr darüber gesprochen und vieles was sie mir erklärt hat, finde ich in deinen Zeilen wieder. Es gibt häufig nicht DEN Auslöser für die Traurigkeit. Und dann gibt es zwangsläufig auch nicht DIE Lösung um alles wieder aufzulösen. An was ich auch gerade noch denke ist das Buch von Tobi Katze, Morgen ist leider auch noch ein Tag. Kennst du das? Das hat mich auch noch ein wenig besser verstehen lassen wie es meiner Freundin wohl so häufig geht.
    Eine Frage habe ich: Wenn ich einen blöden Tag habe, denke ich mir, dass wenn ich morgen aufwache, eh alles wieder besser aussieht und habe Zuversicht. Wenn ich es richtig verstanden habe aus deinem Blogbeitrag ist es bei Menschen mit deinem Krankheitsbild so, dass diese Zuversicht erst gelernt werden muss, oder?
    Vielen Dank für deine offenen Zeilen!

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  3. Liebe Lisa, an 50 shades of grey denke ich auch oft, wenn ich in Hamburg spazieren gehe. Es ist an manchen Tagen, gerade jetzt, wenn der Januar nicht rumgeht, die Tage erst gaaanz langsaaam wieder freundlicher werden und es nicht mal „richtig“ Winter werden will. Aber Deine Zeilen gehen weit über das hinaus, was ich von Freunden als Depression kenne. Durch Deine sehr offenen und mutigen Gedanken bekomme ich eine Ahnung davon, wie hilflos man sich fühlen muss, wenn wie durch eine böse Zauberhand der Turbostaubsauger angeworfen wird und alles Positive, alle Farben und Energien aus einem rausgesaugt werden. Ich freue mich über Deine Fortschritte und dass Du Dich dem Kampf stellst – und hoffe, dass der graue Schleier immer durchsichtiger wird.

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  4. Liebe Claudia,

    vielen Dank für deine positive Rückmeldung. Es ist sehr interessant und auch überaus wichtig für mich, zu hören, wie meine Texte und die Schilderungen darin auf die Leser/innen wirken. Und ich bin dir auch sehr dankbar dafür, wie du dein Leseerlebnis schilderst. Denn genau darum geht es mir, ich möchte keine Angst machen, mit dem was ich schreibe, sondern genau das Gegenteil erreichen. Mut machen. Und trotzdem gehören all diese Gefühle und Symptome einer Depression und auch schlimme Gedanken natürlich dazu, sonst bräuchte ich diesen Blog nicht schreiben. Ich empfinde es als sehr schmalen Grad, in dieser Hinsicht das richtige Mittelmaß zu finden, authentisch wiedergeben, dabei nicht zu bagatellisieren, aber auch nicht zu dramatisieren, mit Humor behandeln, aber nicht ins Lächerliche ziehen. So dass trotz aller Ernsthaftigkeit und sicher auch Dramatik gewisser Situationen die Leser/innen am Ende ein gutes Gefühl haben.
    Gerade bei diesem Thema eine große Herausforderung, aber ich werde mein Bestes geben und bin deswegen auch auf Kommentare wie deinen angewiesen und sehr dankbar dafür.

    Danke dir! 🙂

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  5. Liebe shubia,

    vielen Dank für deinen ehrlichen Kommentar. Zuerst möchte ich sagen, dass ich es total toll finde, dass du dich mit der Krankheit deiner Freundin auseinandersetzt und versuchst, die zu verstehen, obwohl das alles andere als einfach ist, wenn man diese Gefühle nicht nachvollziehen kann, einfach, weil man sie noch nie erlebt hat. Diese Tatsache ist völlig normal, heißt aber leider nicht, dass es selbstverständlich ist, dass sch alle Menschen um einen herum damit beschäftigen und einen verstehen wollen. Auch Partner und enge Freundinnen. Da macht man als Betroffene/r die ein oder andere bittere Erfahrung und muss sich dann überlegen, welche Schlüsse man daraus ziehen möchte. Ohne Unterstellungen zu machen, aber oft spielt hier bei den Angehörigen tatsächlich auch eine gewisse Angst und das Gefühl von Machtlosigkeit, beziehungsweise die schlichte Tatsache eine große Rolle. Was ich auch verstehen kann. Aber Information ist ein guter Weg, um eigene Ängste als Angehörige/r zu dezimieren und einfach da zu sein. Denn das ist auch oft das Einzige, was man machen kann und was hilft. Das Gefühl als Betroffene/r, nicht alleine oder fallen gelassen oder ausgegrenzt zu werden, Verständnis zu bekommen. Vielleicht beruhigt es dich, zu hören, dass selbst ich manchmal Wochen oder auch nur Tage nach meinen tiefsten Phasen nicht mal annähernd nachempfinden (zum Glück) geschweigedenn verstehen kann, wie ich mich nur so schlecht und hilflos und verzweifelt fühlen konnte. Wie zum Teufel kann es sein, dass ich regungslos im Bett lag und nicht mal in der Lage war,aufzustehen geschweigedenn solchen banalen Dingen wie Zähneputzen oder Duschen nachgehen konnte, Dinge, über die sich manche Menschen noch nie in ihrem Leben auch nur annähernd Gedanken gemacht haben. Das kann man als Außenstehende/r nicht nachempfinden. Und muss es auch nicht. Aber trotzdem kann man Verständnis zeigen. Und Empathie. Das reicht vollkommen.
    Deswegen ist meiner Meinung nach aber auch der Austausch mit anderen Betroffenen so wichtig, weil dieser nochmal auf einer ganz anderen Ebene stattfindet.
    Und um deine Frage zu beantworten, du hast es ziemlich genau getroffen. Das ist auch eine der Dinge, die es gilt zu lernen, wenn man mit der Erkrankung gut umgehen möchte: „Normale“ schlechte Tage, wie sie jeder Mensch hat, weil sie einfach zum Leben und zu den Höhen und Tiefen des Lebens gehören, von den pathologischen depressiven Tagen und Phasen zu unterscheiden, um zu wissen, wan man vorbeugen, eingreifen, etwas tun, sich Hilfe holen muss.
    Schlechter Tag: Ist irgendwie alles kacke, aber so ist es halt manchmal, ich halte das aus und morgen ist ein neuer Tag, in der Überzeugung und Zuversicht, dass es dann schon wieder ganz anders aussieht.
    Depressiver Tag: Dieser Zustand ist unerträglich, die Vergangenheit ist furchtbar, eine Zukunft in der eigenen Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit überhaupt nicht greifbar und die Gegenwart düster, dunkel, quälend und kaum auszuhalten. In der vollkommenen Überzeugung, dass sich das nie wieder ändern wird, im absoluten Unvermögen sich selbst vom Gegenteil zu überzeugen, zum Beispiel durch das Reaktivieren von positiven Erinnerungen und Gefühlen.

    Das ist der Unterschied.

    Liebe Grüße!

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  6. Lieber larsvegas 77,

    vielen Dank auch für deinen schönen Kommentar!
    Ich sitze gerade bei Kerzenschein, Kaffee und Jazz in meiner Küche und bestaune Hamburgs strahlendes Grau von seiner schönsten Seite. Es kommt mir gemütlich vor und ich gehe so weit, zu sagen, dass ich eine gewisse Schönheit und Mystik darin sehe. Diese Empfindung ist mir nur möglich durch die momentan große Diskrepanz zwischen meinen inneren Farben und dem Grau da draußen. An Tagen, an denen diese beiden Graus sich einen erbitterten Wettkampf liefern, Dann versucht dieses Grau mich voll und ganz zu verschlucken. Die Kunst besteht darin, zu merken, dass man auch durch den grausten Schleier noch sehen kann, wenn auch nicht so klar und deutlich und ganz schön verschwommen. Und ihn sogar abnehmen kann Nicht immer und nicht unmittelbar, aber immer öfter.
    Da fällt mir ein, meine Bude müsste ganz dringend mal wieder gesaugt werden! 🙂

    Liebe Grüße von mir!

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  7. Liebe Lisa, gerade habe ich deine Blogtexte von oben bis unten gelesen und freue mich so sehr, dass du uns teilhaben lässt an dem, was sich in deiner Seele abspielt. Ich habe selten eine so offene Innenansicht über Depression gelesen und ich finde es total wichtig, darüber zu sprechen und sich auszutauschen. Während meiner Jugend hatte ich eine ca. 2-jährige Phase, in der es mir ähnlich erging, ich brach (grundlos) auf der Straße, im Wohnzimmer, während des Klavierunterrichts (besonders peinlich) in Tränen aus und zu der Scham kam noch die Not der Rechtfertigung, weil ich es doch rundherum gut hatte. Für mich war das wie ein Fluch, und ich dachte, ich werde nie mehr „normal“. und dann plötzlich, mit ca. 17, war das weg. Manchmal grüble ich immer noch, war das die Hormonumstellung, eine Depression, keine Ahnung…
    Ich bin jedenfalls froh, dass du mich wieder daran erinnert hast und dein Blog mir hilft, depressive Menschen in meiner Umgebung besser zu verstehen. LG aus dem grauen grauen Berlin und dem Eichelhäher heute morgen vor meinem Fenster 😉
    deine Jane.

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  8. Liebe Lisa – ich gebe Jane, Larsvegas, Shubia und FrauPunkte so Recht – Du hast ganz schön viel Mut und bist eine super starke Frau. Ich kann mir nur vorstellen, wie intensiv und hart der Umgang mit all diesen Gedanken- und Gefühlskarussellen wohl anfangs war – und wahrscheinlich, trotz so besonderer Eigen- und Fremdreflexion, immer noch ist. Ich beschreibe es immer gerne als „so wie bestimmte Fotofilter“ – wenn bei mir wieder einmal die Depression oder Panik einschlägt. Lange Zeit half nur, mir im Sekunden-Rhythmus laut „Das geht vorbei“ vorzusprechen – mittlerweile kann ich die Phasen oft nutzen, um Texte zu schreiben. Ich habe aber auch nicht mehr so viel Angst davor, was andere von mir denken könnten. Mittlerweile erzähle ich vielen Leuten von meinen depressiven Phasen und meinen Panikattacken. „Fun“-Fact: Seit ich mich mit einem Lied über Zweiteres quasi „geoutet“ habe – sind diese nur noch in geringer Dosis vorhanden. Liebe Grüße und Danke für Deinen Mut, Du inspirierst mich!

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  9. Liebe Carmen,
    du machst mich ja ganz verlegen!! Gerade über diesen Kommentar von dir habe ich mich einfach unfassbar doll gefreut, vor allem über den letzten Satz! Jemanden zu inspirieren ist für mich eines der schönsten Komplimente, die ich mir vorstellen kann und am meisten haben mich bisher immer die Menschen in meinem Leben fasziniert, die mich inspiriert haben, in welcher Hinsicht auch immer. Also vielen vielen Dank dafür! Hatte das unterwegs auf meinem Handy gelesen und glaube ich n ganzes Weilchen völlig bescheuert vor mich hingegrinst. 🙂 Fotofilter ist eine schöne Metapher. Auch das hatte ich in meiner Antwort auf einen von Amelies Kommentaren erwähnt…dass Hochsensibilität (da bist du doch sicher auch eine Kandidatin, oder? Könnte ich mir auf jeden Fall vorstellen :))oft gemeinsam mit der Veranlagung für Depressionen auftritt und dass die Einstellungen der Filter verschiedener Menschen eben einfach sehr unterschiedlich sind und manchmal ganz schön viel durchsickern lassen, das das Gehirn dann versucht, in der gleichen Zeit zu verarbeiten, wie die „normale“ Masse an Informationen, wie sie bei nicht hochsensiblen Menschen üblich ist, und damit logischerweise überfordert ist. Bei Panikattacken bin ich auch zeitweise ganz vorne mit dabei gewesen und kann dich so gut verstehen. Das Schlimme fand ich nur immer, dass man außer Atmen oder sich solche Mantren vorsagen, wie du es getan hast, gar nicht viel machen konnte, außer zu warten, bis es vorbei ist. Sich durch die Erfahrungswerte der letzten Male versuchen zu beruhigen und sich davon zu überzeugen, dass es auch dieses Mal vorbeigehen wird. Keine leichte und auch keineswegs eine schöne Sache. Wobei aus einer Depression heraus tatsächlich auch noch etwas entstehen kann, wie du schon sagst mit deinen Texten, oder dass sie einem aufzeigt, was gerade schief läuft, etc., etc., finde ich Panikattacken, entschuldige, dass ich das so direkt sage, einfach nur absolut schwachsinnig, unnötig und zu nichts zu gebrauchen. Aus einer Panikattacke heraus hat noch keiner einen Bestseller geschrieben schätze ich.
    Toll, dass du auch so offen damit umgehst, je mehr Menschen das so machen, desto besser und jedes Mal ein kleiner Schritt auf dem Weg der Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen in unserer Gesellschaft. Wenn auch im Kleinen, aber man muss und kann ja auch nicht immer direkt die Welt retten. Das Lied würde ich sehr gerne mal hören und freue mich sehr für dich, dass du dadurch einen Weg gefunden hast, auf dem die Panikattacken nur noch selten hinter der nächsten Biegung warten und lauern.

    Ganz liebe Grüße und einen schönen Samstag Abend dir!
    Lisa

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  10. Liebe Jane,
    vielen Dank für deinen lieben Kommentar und auch vor allem deine Offenheit!
    Gerade in der Pubertät kommt es ja oft zu solchen Phasen, die aber glücklicherweise auch oft „einfach so“ wieder verschwinden. Da hat man dann Glück gehabt und es freut mich unbeschreiblich, dass das bei dir der Fall war! Erst letztens habe ich wieder in einem Artikel der FAZ gelesen, dass jeder vierte Jugendliche im Alter zwischen 18 und 25 Jahren an einer psychischen Erkrankung wie Depressionen, Angststörungen oder Panikattacken leidet.
    „Allein in den Jahren 2005 bis 2016 ist die Zahl der betroffenen 18- bis 25-Jährigen in Deutschland über alle Diagnosen hinweg um 38 Prozent von rund 1,4 Millionen auf insgesamt 1,9 Millionen gestiegen“, sagt der Barmervorstandsvorsitzende Christoph Straub. Das heißt, dass 2016 sage und schreibe 25,8 Jugendliche betroffen waren. Ein Viertel der jugendlichen Bevölkerung!! Das muss man sich mal vorstellen!

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  11. Jetzt hatte sich doch glatt gerade mein PC verabschiedet…Von 2001 bis 2010 ist der Anteil von Arbeitsunfähigkeitstagen, zu denen es aufgrund psychischer Probleme kam, von 6,6 auf 13,1 Prozent gestiegen. Laut einem im Juli 2011 erschienenen Report der Barmer GEK kommen immer mehr Menschen wegen psychischer Störungen ins Krankenhaus. Die Zahl der Betroffenen hat demnach in den vergangenen 20 Jahren um 129 Prozent zugenommen. Laut Barmer GEK waren 1990 rund 3,7 von 1000 Versicherten betroffen, 2010 waren es bereits 8,5. (aus dem Spiegel-Online-Bericht „Psychische Erkrankungen verursachen 54 Millionen Fehltage“)
    Was brauch es noch, dass endlich nicht nur rehabilitierende Maßnahmen, sondern auch vorbeugende, vor allem in unserer Arbeitswelt, ergriffen werden, endlich offen und ehrlich über diese Themen gesprochen wird und sich psychisch Kranke Menschen nicht mehr den Kopf zerbrechen müssen, wie sie ihr privates sowie berufliches Umfeld davon wissen lassen.
    Aber dann müssten sich Gesellschaft und Unternehmen, Arbeitgeber, etc. ja eingestehen, dass da etwas schief läuft, dass der Fehler vielleicht ja doch nicht bei den psychisch kranken Menschen, sondern etwa gar im System liegt?? Ein Systemfehler in unserer wo wunderbar effektiven und stetig weiter optimierten Gesellschaft? Kann nicht sein. Außerdem sind psychisch eingeschränkte Mitarbeiter ja bei Weitem nicht so belastbar wie deren „normale“ Kollegen und können dementsprechend nicht so viel leisten. Etwas, das wohl die wenigsten Arbeitgeber gerne sehen.

    Was diese Themen angeht, befindet sich unsere Gesellschaft teilweise wirklich noch in der Steinzeit, was ich äußerst erschreckend finde. Umso wichtiger, dass man, ob als Betroffene/r oder Angehörige/r im Maße des Möglichen aktiv wird, wenn man denn möchte.

    Vielen Dank für das Teilen deiner Erfahrungen und Gedanken, liebe Jane!

    Liebe Grüße
    Lisa

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